Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in einem aktuell veröffentlichen Beschluss (v. 02.06.2016, Az. I ZR 268/14) mit der Frage beschäftigt, ob ein „Champagner Sorbet“, das die Zutat Champagner zu 12 % enthält, die geschützte Ursprungsbezeichnung Champagner in seiner Produktbezeichnung enthalten darf. Hierzu legt er dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vier Vorlagefragen vor.
Entscheidend für die Ausgangsfrage ist nach Ansicht des BGH ob die Voraussetzungen des Art. 118m Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und des an seine Stelle getretenen Art. 103 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 vorliegen. Hiernach dürfen die in das von der Europäischen Kommission geführte Register eingetragenen Ursprungsbezeichnungen von jedem Marktteilnehmer verwendet werden, der einen Wein vermarktet, der entsprechend den betreffenden Produktspezifikationen erzeugt wurde. Allerdings wird die Produktbezeichnung „Champagner Sorbet“ hier nicht zur Vermarktung eines Weines, sondern zur Vermarktung einer Tiefkühlspeise, bei deren Herstellung Champagner verarbeitet worden ist, verwendet. Es handelt damit für ein Produkt, das nicht den Spezifikationen entspricht, die bei der Herstellung von unter der Ursprungsbezeichnung „Champagne“ vermarkteten Weinen zu beachten sind.
Der Schutz von Ursprungsbezeichnungen und geografischen Angaben erfasse zwar jede direkte oder indirekte kommerzielle Verwendung des geschützten Namens. Möglich wäre aber auch eine Beschränkung des Anwendungsbereichs dieser Vorschriften auf identische Verwendungsformen hätte allerdings zur Folge, dass eine tatbestandsmäßige Ausnutzung des Ansehens ausschließlich im Falle der identischen Verwendung der geschützten Bezeichnung in Betracht käme. Es bestünde die Gefahr von Schutzlücken und Wertungswidersprüchen. Der Senat neigt daher zu der Annahme, dass die Verwendung der Bezeichnung „Champagner Sorbet“ für ein Tiefkühlprodukt als kommerzielle Verwendung der geschützten Ursprungsbezeichnung „Champagne“ in den Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 falle. Diese Frage sei durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union jedoch nicht abschließend geklärt. Daher lautet Vorlagefrage 1:
Sind Art. 118m Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 sowie Art. 103 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 da- hin auszulegen, dass ihr Anwendungsbereich auch dann eröffnet ist, wenn die geschützte Ursprungsbezeichnung als Teil einer Bezeichnung für ein nicht den Produktspezifikationen entsprechendes Lebensmittel verwendet wird, dem eine den Produktspezifikationen entsprechende Zutat beigefügt wurde?
Nach Ansicht des Senats ist die angegriffene Produktbezeichnung geeignet, das Ansehen der geschützten Ursprungsbezeichnung „Champagne“ auf das mit „Champagner Sorbet“ bezeichnete Produkt zu übertragen. Ebenfalls genieße die geschützte Ursprungsbezeichnung „Champagne“ ein besonderes Ansehen, weil mit ihr besondere Gütevorstellungen verbunden würden. Klärungsbedürftig sei daher die Frage, ob die Verwendung einer geschützten Ursprungsbezeichnung kein Ausnutzen ihres Ansehens darstelle, wenn die Bezeichnung des Lebensmittels den Bezeichnungsgewohnheiten der angesprochenen Verkehrskreise entspreche und die Zutat in ausreichender Menge beigefügt worden sei, um dem Produkt eine wesentliche Eigenschaft zu verleihen. Diese Frage stelle sich weil, die Aufnahme der Ursprungsbezeichnung in die Produktbezeichnung den Bezeichnungsgewohnheiten des Verkehrs entspreche, da der Begriff „Champagner Sorbet“ in der deutschen Sprache und Kochliteratur eine feststehende Bezeichnung für eine halbgefrorene Süßspeise mit Champagnerzusatz sei. Die den Produktspezifikationen entsprechende Zutat sei zudem mit einem mengenmäßig als wesentlich anzusehenden Anteil von 12% am Produkt enthalten. Die 2. Vorlagefrage lautet daher:
Falls die Frage 1 zu bejahen ist: Sind Art. 118m Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 sowie Art. 103 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 da- hin auszulegen, dass die Verwendung einer geschützten Ursprungsbezeichnung als Teil einer Bezeichnung für ein nicht den Produktspezifikationen entsprechendes Lebensmittel, dem eine den Produktspezifikationen entsprechende Zutat beigefügt wurde, ein Ausnutzen des Ansehens der Ursprungsbezeichnung darstellt, wenn die Bezeichnung des Lebensmittels den Bezeichnungsgewohnheiten der angesprochenen Verkehrskreise entspricht und die Zutat in ausreichender Menge beigefügt worden ist, um dem Produkt eine wesentliche Eigenschaft zu verleihen?
Die Vorlagefragen 1 und 2 seien entscheidungserheblich. Sollten die Vorlagefragen 1 und 2 verneint werden, läge kein Verstoß gegen Art. 118m Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 und Art. 103 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 vor. Sollten die Vorlagefragen zu 1 und 2 hingegen bejaht werden, könne auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden, ob dem Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zustehe. Das Berufungsgericht müsse dazu noch klären, ob zum einen der dem „Champagner Sorbet“ beigegebene Champagner-Anteil von 12% geschmacksbestimmend sei, und ob die Bezeichnung „Champagner Sorbet“ im kommerziellen Bereich eine feststehende Bezeichnung sei und oder nur im nicht-kommerziellen Bereich (der Verbraucher und Hobby-Köche) verwendet werde.
Vorlagefrage 3 wirft die Frage auf, ob wirklich jede nicht berechtigte Nutzung einer geschützten Ursprungsbezeichnung widerrechtlich i. S. d. Verordnung ist. Benutzungshandlungen, an denen ein berechtigtes Interesse bestünden, unterfielen den Verbotstatbeständen nach Auffassung des Senats nicht. Daher lautet Vorlagefrage 3:
Sind Art. 118m Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 sowie Art. 103 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 dahin auszulegen, dass die Verwendung einer geschützten Ursprungsbezeichnung unter den in Vorlagefrage 2 beschriebenen Umständen eine widerrechtliche Aneignung, Nachahmung oder Anspielung darstellt?
Bei Vorlagefrage 4 geht es um die Frage, ob Art. 103 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 auch auf Irreführungen aus der geschützten Ursprungsbezeichnung anwendbar ist, wenn es nicht um eine Irreführung über die geografische Herkunft geht, sondern um eine Irreführung über wesentliche Eigenschaften des mit der geschützten Ursprungsbezeichnung bezeichneten Erzeugnisses, weil der Champagner nach Ansicht des Klägers nicht den charakteristischen und geschmacksgebenden Bestandteil des Produkts ausmache. Sie lautet:
Sind Art. 118m Abs. 2 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 sowie Art. 103 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 dahin auszulegen, dass sie nur auf falsche oder irreführende Angaben anwendbar sind, die bei den angesprochenen Verkehrskreisen einen unzutreffenden Eindruck über die geografische Herkunft eines Erzeugnisses hervorzurufen geeignet sind?
Weiterführende Informationen
Beschluss des BGH v. 202.06.2016, Az. I ZR 268/14 >>
cb
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