In dem Verfahren der Wettbewerbszentrale zur Frage, ob für Lebensmittel-Onlinehändler eine Bio-Zertifizierung nach der EG-Öko-Verordnung Pflicht ist, hat der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH, Rs. C-289/16) gestern seine Schlussanträge gestellt. Im Ergebnis geht er davon aus, dass eine solche Bio-Zertifizierung für Onlinehändler nicht erforderlich ist.
Der Bundesgerichtshof hatte mit Beschluss vom 24.03.2016, Az. I ZR 243/14, dem EuGH im Verfahren um die Klärung der Bio-Zertifizierungspflicht für den Online-Handel folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„Liegt ein im Sinne von Art. 28 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 „direkter“ Verkauf an den Endverbraucher bereits vor, wenn der Unternehmer oder sein Verkaufspersonal dem Endverbraucher die Erzeugnisse ohne Zwischenschaltung eines Dritten verkauft, oder setzt ein „direkter“ Verkauf darüber hinaus voraus, dass der Verkauf am Ort der Lagerung der Erzeugnisse unter gleichzeitiger Anwesenheit des Unternehmers oder seines Verkaufspersonals und des Endverbrauchers erfolgt?“<7i>
Gegenstand des vom BGH zu beurteilenden Verfahrens war die Frage, ob Online-Händler, die Bio-Lebensmittel zum Verkauf anbieten, der Kontrollpflicht durch die zuständigen Öko-Kontrollstellen unterliegen. Nach Art. 28 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates vom 28. Juni 2007 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen (EG-Öko-Verordnung) ist jeder Unternehmer, der Bio-Produkte erzeugt, aufbereitet, lagert, aus einem Drittland einführt oder in Verkehr bringt, verpflichtet, vor dem Inverkehrbringen von jeglichen Erzeugnissen seine Tätigkeit den zuständigen Behörden des Mitgliedsstaates, in dem diese Tätigkeit ausgeübt wird, zu melden sowie sein Unternehmen dem Kontrollsystem zu unterstellen. Grundsätzlich ist nach der Vorschrift der gesamte Einzelhandel zur Zertifizierung verpflichtet.
Deutschland hat jedoch von der in Art. 28 Abs. 2 der EG-Öko-Verordnung vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine Ausnahmevorschrift für den Einzelhandel zu schaffen. Diese Ausnahme ist in § 3 Abs. 2 Öko-Landbaugesetz (ÖLG) umgesetzt. Nach der Vorschrift ist der Einzelhandel von der Kontrollpflicht entbunden, wenn die Erzeugnisse „direkt“ an Endverbraucher oder –nutzer verkauft werden, sofern diese Unternehmer die Erzeugnisse nicht selbst erzeugen, aufbereiten oder an einem anderen Ort als in Verbindung der Verkaufsstelle lagern oder solche Erzeugnisse nicht aus einem Drittland einführen oder solche Tätigkeiten durch einen Dritten ausüben lassen.
Generalanwalt Tanchev: „Ohne Zwischenschaltung von Dritten gilt Online Verkauf als direkter Verkauf“
Der Generalanwalt Evgeni Tanchev schlägt mit seinen Schlussanträgen dem Europäischen Gerichtshof vor, die Frage dahingehend zu beantworten, dass bereits dann ein direkter Verkauf nach Art. 28 Abs. 2 EG-Öko-Verordnung vorliegt, wenn er ohne Zwischenschaltung von Dritten erfolgt. Für den Fall, dass der Unternehmer die Erzeugnisse direkt an den Endverbraucher verkauft, die Erzeugnisse aber nachweislich selbst erzeugt, aufbereitet oder an einem andern Ort als in Verbindung mit der Verkaufsstelle lagert oder solche Erzeugnisse aus einem Drittland einführt, erfüllt er jedoch nicht die Voraussetzungen für die Befreiung nach Art. 28 Abs. 2 EG-Öko-Verordnung. Der Ausdruck „an einem anderen Ort als in Verbindung mit der Verkaufsstelle“ beschränkt die Lagerung nicht auf den tatsächlichen Verkaufsort, sondern setzt voraus, dass die Lagerung lediglich zur Unterstützung des Verkaufs erfolgt und nicht über das hinausgeht, was für die Durchführung des Verkaufs nach vernünftigem Ermessen erforderlich ist. Für die Erfüllung der Voraussetzungen der Freistellungsmöglichkeit spielt weder eine Rolle, ob oder wo die Erzeugnisse vom Verkäufer gelagert werden, noch, wer am Ort der Lagerung oder des Verkaufs anwesend ist.
Als einen Grund führt der Generalanwalt aus, dass die Ausnahmevorschrift des Art. 28 Abs. 2 EG-Öko-Verordnung im Jahr 2003 verfasst wurde, als der Online-Handel wohlbekannt war und die Richtlinie über den elektronischen Verkauf bereits in Kraft getreten war. Vom Gesetzgeber konnte daher erwartet werden, dass er eine ausdrückliche Ausnahme vorgesehen hätte, wenn er den Online-Handel hätte ausschließen wollen.
Nach den Schlussanträgen würde der Verkauf von Bio-Produkten im Online-Bereich also keine Zertifizierungspflicht der Online-Händler voraussetzen. Es bleibt jetzt abzuwarten, ob der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts folgt.
(F 4 0844/12)
Weiterführende Informationen
Zur Tätigkeit der Wettbewerbszentrale im Bereich Lebensmittel >>
News „Grundsatzentscheidung durch BGH erwartet“ vom 21.04.2015 >>>
Urteil des OLG Frankfurt am Main (Login erforderlich) >>
Urteil des LG München (Login erforderlich) >>
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