In dem Verfahren der Wettbewerbszentrale zur Frage, ob für Lebensmittel-Onlinehändler eine Bio-Zertifizierung nach der EG-Öko-Verordnung Pflicht ist, hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 12.10.2017, Rs. C-289/16 entschieden, dass eine BIO-Zertifizierung für Online-Händler verpflichtend ist, weil kein direkter Verkauf vorliegt.
Der Bundesgerichtshof hatte mit Beschluss vom 24.03.2016, Az. I ZR 243/14, dem EuGH im Verfahren um die Klärung der Bio-Zertifizierungspflicht für den Online-Handel folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„Liegt ein im Sinne von Art. 28 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 „direkter“ Verkauf an den Endverbraucher bereits vor, wenn der Unternehmer oder sein Verkaufspersonal dem Endverbraucher die Erzeugnisse ohne Zwischenschaltung eines Dritten verkauft, oder setzt ein „direkter“ Verkauf darüber hinaus voraus, dass der Verkauf am Ort der Lagerung der Erzeugnisse unter gleichzeitiger Anwesenheit des Unternehmers oder seines Verkaufspersonals und des Endverbrauchers erfolgt?“
Gegenstand des vom BGH zu beurteilenden Verfahrens war die Frage, ob Online-Händler, die Bio-Lebensmittel zum Verkauf anbieten, der Kontrollpflicht durch die zuständigen Öko-Kontrollstellen unterliegen. Nach Art. 28 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates vom 28. Juni 2007 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen (EG-Öko-Verordnung) ist jeder Unternehmer, der Bio-Produkte erzeugt, aufbereitet, lagert, aus einem Drittland einführt oder in Verkehr bringt, verpflichtet, vor dem Inverkehrbringen von jeglichen Erzeugnissen seine Tätigkeit den zuständigen Behörden des Mitgliedsstaates, in dem diese Tätigkeit ausgeübt wird, zu melden sowie sein Unternehmen dem Kontrollsystem zu unterstellen. Grundsätzlich ist nach der Vorschrift der gesamte Einzelhandel zur Zertifizierung verpflichtet.
Deutschland hat jedoch von der in Art. 28 Abs. 2 der EG-Öko-Verordnung vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine Ausnahmevorschrift für den Einzelhandel zu schaffen. Diese Ausnahme ist in § 3 Abs. 2 Öko-Landbaugesetz (ÖLG) umgesetzt. Nach der Vorschrift ist der Einzelhandel von der Kontrollpflicht entbunden, wenn die Erzeugnisse „direkt“ an Endverbraucher oder –Nutzer verkauft werden, sofern diese Unternehmer die Erzeugnisse nicht selbst erzeugen, aufbereiten oder an einem anderen Ort als in Verbindung der Verkaufsstelle lagern oder solche Erzeugnisse nicht aus einem Drittland einführen oder solche Tätigkeiten durch einen Dritten ausüben lassen.
Der Europäische Gerichtshof ist nun der Ansicht der Wettbewerbszentrale gefolgt, und hat entschieden, dass ein „direkter Verkauf“ nur unter gleichzeitiger Anwesenheit des Unternehmers und seines Verkaufspersonals und des Endverbrauchers vorliegt. Der EuGH führt aus, dass es dem durch die Verordnung Nr. 834/2007 eingerichteten System zuwiderliefe, eine Auslegung zu bestätigen, durch die eine Ausnahme, die für eine begrenzte Zahl genau bestimmter Fälle von beschränkter wirtschaftlicher Bedeutung konzipiert ist, in ein Regel verwandelt wird, die für weite Teile des Online-Handels eine Ausnahme vom Kontrollsystem begründen kann, auch wenn diese Vertriebskanäle im Rahmen der biologischen Produktion eine erhebliche und zunehmende Bedeutung einnehmen. Zudem liefe es dem Ziel des Verbraucherschutzes zuwider, das Vertrauen der Verbraucher in als biologisch gekennzeichnete Erzeugnisse zu wahren und zu rechtfertigen, wenn man zuließe, dass die in Art. 28 Absatz 2 der Verordnung Nr. 834/2007 geregelte Ausnahme über die vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehenen Fälle hinaus Anwendung findet. Schließlich wird die maßgebliche Auslegung von Art.28 Absatz 2 der Verordnung Nr. 834/2007 auch nicht durch das Argument in Frage gestellt, es sei nicht erwiesen, dass der Endverbraucher die Einhaltung der Verpflichtungen aus der Verordnung 834/2007 beim Kauf in einem Einzelhandelsgeschäft besser kontrollieren könne als bei einem Online-Kauf oder einem Kauf über den Versandhandel.
Die Wettbewerbszentrale hat damit eine lange Zeit offene Rechtsfrage klären lassen. Für die Unternehmen herrscht jetzt endlich Rechtssicherheit, ob sie sich zertifizieren lassen müssen oder nicht. Im Ergebnis wird der Online-Handel nicht dem stationären Handel gleichgestellt, sodass auch der Online-Handel nicht von der Ausnahme der Zertifizierungspflicht profitieren kann.
Weiterführende Informationen
Zur Tätigkeit der Wettbewerbszentrale im Bereich Lebensmittel >>
News „Grundsatzentscheidung durch BGH erwartet“ vom 21.04.2015 >>
Urteil des OLG Frankfurt am Main (Login erforderlich) >>
Urteil des LG München (Login erforderlich) >>
ad
Weitere aktuelle Nachrichten
-
OLG Frankfurt a. M. untersagt „Anti-Kater“-Werbung für Mineralstofftabletten
-
Rückblick: Konferenz „Wettbewerb, Nachhaltigkeit & Recht“
-
Rückblick: „Jura in der Praxis“ der Julius-Maximilians-Universität Würzburg
-
Rückblick: Internationaler Kongress der Liga in London
-
Landgericht Mainz zur Assoziation von „After Party Shots“ mit einem Alkoholkater