Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluss vom 11. März 2003 das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aufgehoben, mit dem dieser das Abdruckverbot einer Werbeanzeige der Firma Benetton erneut bestätigt hat. Die Anzeige zeigt einen Ausschnitt eines nackten menschlichen Gesäßes, auf das die Worte „H.I.V. POSITIVE“ aufgestempelt sind. Rechts darunter am Bildrand stehen die Worte „UNITED COLOURS OF BENETTON“.
Zum Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin (Bf), ein Presseunternehmen, hatte die Werbeanzeige in einer von ihr herausgegebenen Illustrierten veröffentlicht. Der Abdruck wurde ihr nach § 1 UWG untersagt. Vor dem BGH blieb die Bf mit ihrer Sprungrevision ohne Erfolg. Das BVerfG hob mit Urteil vom 12. Dezember 2000 – Az. 1 BvR 1762/95 und 1 BvR 1787/95 – (vgl. Pressemitteilung Nr. 156/2000 vom 12. Dezember 2000) auf die Verfassungsbeschwerde (Vb) der Bf das Revisionsurteil wegen Verletzung ihres Grundrechts auf Pressefreiheit auf und verwies die Sache an den BGH zurück. Mit dem hier angegriffenen Urteil wies der BGH die Revision gegen die „H.I.V. POSITIVE“-Anzeige erneut zurück. Hiergegen wendet sich die Bf wiederum mit der Vb und rügt die Verletzung ihrer Pressefreiheit.
In den Gründen der Entscheidung heißt es: Das Abdruckverbot schränkt die Bf in ihrer Pressefreiheit ein. Diese Einschränkung ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Sie verkennt Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit, auf die sich die Bf im Rahmen ihrer Pressefreiheit berufen kann. Einschränkungen des Grundrechts der freien Meinungsäußerung bedürfen einer Rechtfertigung durch hinreichend gewichtige Gemeinwohlbelange oder schutzwürdige Rechte und Interessen Dritter. § 1 UWG enthält eine Generalklausel, wonach Wettbewerbshandlungen, die gegen die guten Sitten verstoßen, verboten sind. Einschränkungen der Meinungsfreiheit auf dieser Grundlage setzen einen hinreichend wichtigen durch diese Norm geschützten Belang voraus. Daran fehlt es hier. Die Menschenwürde setzt zwar der Meinungsfreiheit auch im Wettbewerbsrecht eine absolute Grenze. Diese ist hier aber nicht verletzt.
Dazu führt die Entscheidung im Einzelnen weiter aus: Nach Auffassung des BGH soll der Öffentlichkeit mit der Anzeige die Stigmatisierung H.I.V.-Infizierter als gesellschaftlicher Missstand vor
Augen geführt werden. Diese sozialkritische Meinungsäußerung verfolgt zugleich einen eigennützigen Werbezweck. Der BGH hält die Werbeanzeige für sittenwidrig, weil sie wegen ihres Zwecks die Menschenwürde verletze. Aufmerksamkeitswerbung, die das Elend der Betroffenen zum eigenen kommerziellen Vorteil als Reizobjekt ausbeute, sei mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar.
Mit dieser Beurteilung verkennt der BGH die Reichweite der Menschenwürde als Schranke der Meinungsfreiheit im Wettbewerbsrecht.
Die Menschenwürde gilt absolut und ist mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig. Die Grundrechte sind insgesamt Konkretisierungen des Prinzips der Menschenwürde. Deshalb bedarf die Annahme, dass der Gebrauch eines Grundrechts die unantastbare Menschenwürde verletzt, stets einer sorgfältigen Begründung, zumal in diesem Fall die sonst notwendige Rechtfertigung des Eingriffs in die Meinungsfreiheit durch einen hinreichend wichtigen wettbewerbsrechtlich geschützten Belang
entfällt.
Nach diesem Maßstab verletzt die Anzeige nicht die Menschenwürde. Der Werbezweck verwandelt sie nicht in eine Botschaft, die den gebotenen Respekt vermissen ließe, indem sie etwa die Betroffenen verspottet, verhöhnt oder erniedrigt oder das dargestellte Leid verharmlost, befürwortet oder in einen lächerlichen oder makabren Kontext stellt. Allein der Aufmerksamkeitswerbezweck rechtfertigt den schweren Vorwurf einer Menschenwürdeverletzung nicht. Ein Werbeverbot auf der Grundlage des § 1 UWG ist – ohne dass es auf eine Gefährdung des Leistungswettbewerbs ankäme – dann durch den Schutz der Menschenwürde gerechtfertigt, wenn die Werbung wegen ihres Inhalts auf die absolute Grenze der Menschenwürde stößt. Wird diese Grenze beachtet, kann nicht allein der Werbekontext dazu führen, dass eine ansonsten zulässige Meinungsäußerung die Menschenwürde verletzt. Eine Anzeige mag in einem solchen Fall als befremdlich empfunden oder für ungehörig gehalten werden, ein Verstoß gegen Art.1 Abs.1 GG liegt jedoch nicht vor. Jedenfalls solange die Werbeanzeige wie hier die Not H.I.V. – Infizierter unter Achtung der Menschenwürde thematisiert, verletzt sie auch nicht ein hinreichend schützenswertes Interesse Betroffener.
Beschluss vom 11. März 2003 – 1 BvR 426/02 –
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