Das Landgericht Stade hat in einem Verfahren der Wettbewerbszentrale einem Unternehmen untersagt, für Corona-Impfunfähigkeitsbescheinigungen zu werben, die ausgestellt werden, ohne dass ein unmittelbarer Kontakt zwischen ausstellender Ärztin und Patienten stattfindet, die Beurteilung der bescheinigten Impfunfähigkeit dementsprechend nicht auf der eigenen Wahrnehmung der die Bescheinigung ausstellenden Ärztin beruht. Auch die Abgabe der so ausgestellten Impfunfähigkeitsbescheinigungen untersagte das Landgericht (LG Stade, Urteil vom 06.10.2022, Az. 8 O 31/22, nicht rechtskräftig).
Verkauf von Impfunfähigkeitsbescheinigungen per Fernabsatz
Die Beklagte bewarb ihr Geschäftsmodell unter dem Motto „Bist du überhaupt impffähig?“. Die Bescheinigung könne man zum Beispiel dem Arbeitgeber vorlegen und sie nehme den Druck, sich voreilig impfen lassen zu müssen. Für eine einmalige „gutachterliche Stellungnahme“ berechnete die Beklagte 17, 49 Euro. Der Interessent musste dafür seine Daten hinterlegen und sich ein Video anschauen, in dem unter anderem über verschiedene Covid-19-Impfstoffe sowie deren Risiken und Nebenwirkungen berichtet wurde. Unter dem Button „Befragung“ konnte der Nutzer dann wählen, welchen der verfügbaren Impfstoffe er im Falle einer Covid 19 – Impfung wählen würde. Kreuzte er den Impfstoff „Corminaty (Biontech)“ an, so wurden die Inhaltsstoffe dieses Impfstoffes aufgeführt. Darauf folgte die Frage „Kannst du ausschließen, dass du gegen einen oder mehrere dieser Stoffe allergisch bist?“. Wählte der Nutzer die Auswahlmöglichkeit „Ich bin mir nicht sicher, ob ich auf einen der genannten Impfstoffe allergisch reagiere“, so erhielt er nach dem Anklicken eines Links eine „Bescheinigung einer vorläufigen Impfunfähigkeit gegen das Coronavirus SARS-CoV-2“, unterschrieben und abgestempelt von einer Ärztin, zu der während des gesamten Vorganges kein Kontakt bestand.
Impfunfähigkeitsbescheinigung: Allgemeine Information oder individuelle Diagnose?
Die Wettbewerbszentrale hatte beanstandet, dass die Werbung gegen das Verbot der Werbung für Fernbehandlung (§ 9 Heilmittelwerbegesetz – HWG-) verstoße. Die Ausgabe der Bescheinigungen sei unzulässig, weil zum Beispiel einem Arbeitgeber irreführenderweise vorgespiegelt werden solle, Arzt oder Ärztin habe aufgrund einer Untersuchung etwa eine Allergie gegen einen Impfstoff festgestellt. Die Beklagte meinte dagegen, die Werbung unterfalle als reine Vorbeugung und Verhütung von Krankheiten und sachliche Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen einer Impfung nicht dem HWG. Auch liege keine irreführende Werbung vor, da die vorläufigen und zeitlich begrenzten Bescheinigungen nicht den Eindruck erweckten, dass die ausstellende Ärztin die Patienten untersucht und befragt habe.
Gericht: Bescheinigung ist „unrichtiges Gesundheitszeugnis“
Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich bei den Bescheinigungen um „unrichtige Gesundheitszeugnisse“ im Sinne des § 278 Abs. 1 StGB, die zur Täuschung im Rechtsverkehr, etwa zur Vorlage beim Arbeitgeber, ausgestellt würden. Keineswegs handele es sich um eine allgemeine Mitteilung. Unrichtig sei das Gesundheitszeugnis, weil die Diagnose der vorläufigen Impfunfähigkeit nicht auf einer tragfähigen Grundlage beruhe, da zwischen dem Nutzer der streitgegenständlichen Website und der Ärztin, die die Bescheinigung ausgestellt habe, nicht nur niemals ein persönlicher Kontakt, sondern vielmehr gar kein Kontakt bestanden habe. „In Anbetracht dessen, dass viele Millionen Menschen weltweit ohne vorherigen umfassenden Allergietest weitgehend komplikationslos und ohne die in der Bescheinigung genannten schweren Folgen geimpft worden sind, kann nicht ohne weitergehende körperliche Untersuchung allein auf Grund der Beantwortung der auf der Website angegebenen Fragen eine konkrete Gefahr des Schadenseintritts bestätigt werden“, so das Gericht in seiner Begründung. Darüber hinaus verstoßen die Ärztinnen und Ärzte, die eine Impfunfähigkeitsbescheinigung ohne vorherigen Kontakt zu den Patient*innen ausstellen, auch gegen ärztliches Standesrecht. Die einzige ärztliche Leistung, die erbracht werde, sei die der Unterschrift, so das Gericht. Die Beklagte ermöglicht und organisiert nach Auffassung des Gerichts den Verstoß gegen die Berufsordnung. Sie handele damit selbst wettbewerbswidrig, weil ihre geschäftlichen Handlungen nicht der geschäftlichen Sorgfalt entsprechen. Auch der von der Wettbewerbszentrale ebenfalls auf Unterlassung in Anspruch genommene Geschäftsführer der Beklagten hafte persönlich aufgrund seiner eigenen wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht, da er ein auf Rechtsverletzungen angelegtes Geschäftsmodell selbst ins Werk gesetzt habe.
Zum Hintergrund: Seit dem 15.03.2022 müssen bestimmte Personengruppen, etwa Angestellte in Krankenhäusern, Arztpraxen oder Pflegeheimen, ihrem Arbeitgeber einen Impf- oder Genesenennachweis vorlegen. Ausgenommen von der Impfpflicht sind Personen, die auf Grund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 geimpft werden können und die entsprechende Bescheinigung vorlegen (§ 20a InfektionsschutzG).
Weiterführende Informationen
Zur Tätigkeit der Wettbewerbszentrale im Bereich Gesundheitswesen >>
F 4 0391/21
ck
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