Steht es im Belieben eines Leistungserbringers, ob er die gesetzlich vorgesehenen Zuzahlungsbeträge beim Patienten einzieht? Diese Frage lässt die Wettbewerbszentrale derzeit in einem Verfahren klären. Am 1. Dezember findet die mündliche Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof (BGH) statt.
Zum Hintergrund: Der Beklagte betreibt einen Spezialversand für Diabetikerbedarf. Er warb damit, die auf den gesetzlich krankenversicherten Patienten entfallende Zuzahlung beim Erwerb von Hilfsmitteln zu übernehmen. So hieß es z. B.: „Zuzahlung bezahlen Sie übrigens bei uns nicht, das übernehmen wir für Sie!“.
Die Höhe der Zuzahlung ist in § 61 SGB V geregelt. Sie kann bis zu 10,00 Euro betragen. Die Zuzahlungspflicht ist in § 33 Abs. 8 SGB V geregelt. Nach § 43 c Abs. 1 Satz 1 SGB V haben die Leistungserbringer Zahlungen, die Versicherte zu entrichten haben, einzuziehen und mit ihrem Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse zu verrechnen.
Die Wettbewerbszentrale vertritt die Auffassung, dass es sich bei den genannten sozialrechtlichen Vorschriften um Marktverhaltensregeln handelt, so dass die Werbung und der Verzicht auf die Zuzahlung zugleich einen Wettbewerbsverstoß nach § 3 a UWG darstellen. Darüber hinaus hat die Wettbewerbszentrale einen Verstoß gegen das Zuwendungsverbot des § 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG) beanstandet.
Das Landgericht Ulm hat die Klage der Wettbewerbszentrale insgesamt abgewiesen. Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat den Beklagten verurteilt, gegenüber Krankenversicherten mit dem Zuzahlungsverzicht zu werben oder die gesetzliche vorgesehene Zuzahlung nicht einzuziehen, allerdings mit der Einschränkung, dass geringfügige Beträge bis zu 1,00 Euro von dieser Unterlassung nicht betroffen sind. Das OLG vertrat ebenso wie das Landgericht die Auffassung, dass die werbliche Ankündigung eines Verzichts auf die Zuzahlung zwar ein nachhaltig rechtswidriges Verhalten sei, dies aber nicht einen marktverhaltensregelnden Bereich dieser Norm treffe. Den Unterlassungsanspruch stützte das Gericht dagegen auf eine Verletzung von § 7 HWG. Nach dieser Vorschrift sind zwar ausnahmsweise Geldrabatte erlaubt. Wie das Gericht in seinen Entscheidungsgründen ausführlich erläutert, gebiete es aber das „Gebot der Einheitlichkeit der Rechtsordnung“, nicht über § 7 HWG Geldrabatte zu erlauben, die nach einer anderen gesetzlichen Norm (SGB V) ausdrücklich verboten seien. Im Hinblick auf die Geringwertigkeitsschwelle in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG hielt es allerdings Beträge bis zu 1,00 Euro für zulässig.
Das OLG Stuttgart hat die Revision nicht zugelassen. Die von der Gegenseite eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde nahm der BGH an.
LG Ulm, Urteil vom 23.06.2014, Az. 3 O 4/14
OLG Stuttgart, Urteil vom 09.07.2015, 2 U 83/14
BGH, Az. I ZR 143/15
F 40050/15
ck
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