Mit folgenden Ankündigungen auf der Homepage einer großen Betriebskrankenkasse aus Oldenburg hatte sich die Wettbewerbszentrale nach Beschwerden aus Mitgliederkreisen zu beschäftigen.
„Für alle, die bisher keinen Zuschuss zu ihrer Brille oder ihren Kontaktlinsen erhalten konnten, bietet die BKK … für Versorgungen seit dem 01.06.2012 eine neue Zusatzleistung an. Unabhängig von einer Sehkraftänderung erstattet die BKK … Ihnen alle 3 Jahre (gerechnet ab Kaufdatum) einen Zuschuss von 33,90 Euro zu den Kosten Ihrer Brille oder Kontaktlinsen…
Unser Tipp – Brille24
Bestellen Sie Ihre Brille bei unserem Kooperationspartner Brille24. Der Online-Optiker Brille24 bietet Qualitätsbrillen zum Spitzenpreis…“.
Der Leser dieses Angebots assoziiert spontan die Situation, wie sie noch vor Inkrafttreten des GKV Modernisierungsgesetzes (GMG) vom 14.11.2003 galt. Zu diesem Zeitpunkt endete bekanntermaßen die Ära der Sehhilfe als Kassenleistung (mit wenigen eng umrissenen Ausnahmen). Von einer Renaissance der „Kassenbrille“ durch die Aktion der BKK kann allerdings nur mit Abstrichen die Rede sein, weil den Versicherten kein Wahlrecht zugestanden wurde, sondern die BKK lediglich einen Vertrag mit einem ganz bestimmten Online-Brillenhändler geschlossen hatte, mit dem für die Versicherten der besonders günstige Erwerb von Sehhilfen gewährleistet werden sollte. Ziel dieser Aktion war es selbstredend, die Attraktivität der werbenden Krankenkasse zu erhöhen, um so neue Mitglieder zu gewinnen und den Mitgliederbestand zu erhalten.
Dass dies allerdings Grenzen hat, ist dem aktuellen noch nicht rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 13.08.2014 (Az. 5 O 2156/13) zu entnehmen.
Die Wettbewerbszentrale hatte das Zuschussmodell der Betriebskrankenkasse im Wege der Abmahnung beanstandet und sodann Klage zum LG Oldenburg erhoben, nachdem eine außergerichtliche Lösung nicht möglich war. Dabei hatte die Wettbewerbszentrale u. a. die Frage aufgeworfen, ob es nicht generell eine Verletzung der fachlichen Sorgfalt einer Krankenkasse im Sinne des § 3 Absatz 2 UWG darstellt, aktuellen und potentiellen Mitgliedern die Versorgung mit Sehhilfen eines konkret benannten Online-Anbieters besonders zu empfehlen.
Das Landgericht vertrat dazu allerdings die Auffassung, dass es hierauf schon deswegen nicht ankomme, weil die BKK ohnehin gegen ihre Neutralitätspflicht verstoßen habe. Zwar sei der beklagten BKK als öffentlich-rechtliche Körperschaft bei Erfüllung ihrer Aufgaben eine Zusammenarbeit mit einem privaten Unternehmen nicht verwehrt und insoweit dürfe der Verbraucher auch in angemessener Weise unterrichtet werden. Mit der hier beanstandeten Empfehlung (s.o.) sei die Beklagte allerdings über ein angemessenes Maß hinausgegangen. Sie habe die Nachfrage der Verbraucher in unlauterer Weise zum Unternehmen des protegierten Online-Brillenhändlers gelenkt und insoweit unter Aufgabe ihrer sachlichen Distanz einen Bezug zu ihrer eigenen durch ihre öffentlich-rechtliche Tätigkeit bestimmten Autorität gerade im Gesundheitsfragen hergestellt. Ein solches Verhalten sei in besonderer Weise geeignet, die Interessen von Mitbewerbern des Brillen-Onlinehändlers spürbar im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG zu beeinträchtigen. Mit dieser Begründung jedenfalls untersagte das Landgericht unter Androhung der üblichen Ordnungsmittel die weitere Verwendung der hier fraglichen empfehlenden Formulierungen.
Die Wettbewerbszentrale begrüßt dieses Ergebnis, denn hierdurch wird die doppelte Rolle der gesetzlichen Krankenversicherer noch einmal verdeutlicht. Sie sind nicht nur Teil der öffentlichen Gesundheitsvorsorge, womit gerade eine besondere fachliche Autorität in Gesundheitsfragen aufgebaut wird. Gesetzliche Krankenkassen sind darüberhinaus aber auch maßgeblicher Faktor im Wettbewerb der Unternehmen der Gesundheitswirtschaft und müssen daher besonders darauf bedacht sein, hier nicht einseitig Verzerrungen des Wettbewerbs zu fördern. Das landgerichtliche Urteil steht somit auch voll und ganz auf dem Fundament in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Der EuGH hatte mit Urteil vom 03.10.2013 (Rs C-59/12) in einem ebenfalls von der Wettbewerbszentrale geführten Verfahren festgestellt, dass gesetzliche Krankenkassen im Rahmen ihrer Mitgliederwerbung als Gewerbetreibende und Unternehmen im Sinne der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken anzusehen seien, was nicht mehr und nicht weniger bedeutet, als dass eben auch Betriebskrankenkassen die Regeln des fairen und lauteren Wettbewerbs beachten müssen.
Es bleibt nun abzuwarten, ob die hier beklagte Betriebskrankenkasse die Entscheidung des LG Oldenburg hinnimmt oder von dem Rechtsmittel der Berufung Gebrauch macht.
(HH 1 0117/13)
pb
Weitere aktuelle Nachrichten
-
OLG Frankfurt a. M. untersagt „Anti-Kater“-Werbung für Mineralstofftabletten
-
Rückblick: Konferenz „Wettbewerb, Nachhaltigkeit & Recht“
-
Rückblick: „Jura in der Praxis“ der Julius-Maximilians-Universität Würzburg
-
Rückblick: Internationaler Kongress der Liga in London
-
Landgericht Mainz zur Assoziation von „After Party Shots“ mit einem Alkoholkater