Eine öffentliche Bestellung und Vereidigung wird nach den aktuellen Sachverständigen-Ordnungen der Bestellungskörperschaften (SVO) regelmäßig für einen Zeitraum von 5 Jahren befristet. Eine Verlängerung bis zum 68., längstens bis zum 71. Lebensjahr ist möglich. Hierin sehen manche Sachverständige jedoch einen schwerwiegenden Eingriff in ihre berufliche Tätigkeit. So auch ein 75 Jahre alter Professor, der für die Sachgebiete „EDV im Rechnungswesen und Datenschutz“ sowie „EDV in der Hotellerie“ von der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern (IHK) bestellt worden war und dessen Bestellung nach der SVO bis zur Vollendung des 71. Lebensjahres verlängert worden war. Sein Antrag auf weitere Verlängerung wurde von der IHK abgelehnt. Die dagegen gerichtete Klage blieb in den Vorinstanzen und zunächst vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) erfolglos.
Das BVerwG hatte in zwei Urteilen vom 26.01.2011, Az. C 45/09 und 46/09 entschieden, dass weder das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) noch europäisches Unionsrecht einer IHK verbieten, in ihrer Satzung Höchstaltersgrenzen für öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige festzusetzen. Die Ungleichbehandlung wegen des Alters sei durch legitime Ziele der Regelungen in den Sachverständigenordnungen gerechtfertigt. Denn der Normgeber habe davon ausgehen können, dass mit fortschreitendem Alter die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit generell nachlasse. Ferner habe er bei der Festlegung von Höchstaltersgrenzen zugrunde legen dürfen, dass mit Beginn des achten Lebensjahrzehnts bei typisierender Betrachtung die für eine uneingeschränkte Wahrnehmung der besonders anspruchsvollen Tätigkeit eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen erforderliche Leistungsfähigkeit nicht mehr uneingeschränkt gegeben sei. Mithin stellt die Altersgrenze auch eine verhältnismäßige Regelung der Berufsausübung dar, die grundrechtlich gerechtfertigt ist.
Von dieser Rechtsprechung ist das Bundesverwaltungsgericht nunmehr in seiner Entscheidung vom 01.02.2012, Az. 8 C 24.11 abgewichen. Die generelle Altersgrenze stellt nach nunmehriger Ansicht eine nach dem AGG unzulässige Benachteiligung wegen des Alters dar und sei deshalb unwirksam. Denn das mit der Regelung in der SVO verfolgte Ziel, einen geordneten Rechtsverkehr sicherzustellen, sei kein legitimes Ziel nach § 10 AGG, welches eine unterschiedliche Behandlung wegen Alters rechtfertigen könne. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zählten dazu nur sozialpolitische Ziele insbesondere aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung.
Das BVerwG führt weiter aus, dass das Lebensalter auch nicht im Sinne von § 8 Abb. 1 AGG in innerem Zusammenhang mit einer besonderen Anforderung an die Art der beruflichen Betätigung stehe. Denn die Tätigkeit des Klägers in seinen Sachgebieten stelle keine besonderen Anforderungen (ausgenommen Vorbildung und Erfahrung) dar, die nur Jüngere erfüllen könnten.
Die Altersgrenze werde auch nicht durch die in Art. 2 Abs. 5 der europäischen Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG enthaltenen Sicherheitsvorbehalt legitimiert. Insbesondere diene die Festlegung der Altersgrenze in der SVO in den hier in Frage kommenden Sachgebieten nicht den Erfordernissen der öffentlichen Sicherheit, der Verhütung oder dem Schutz der Rechte oder Freiheiten anderer.
Damit ist nun ein weiteres Mal – aber anders als zuvor – höchstrichterlich geklärt, dass die in den Sachverständigenordnungen enthaltenen generellen Altersbegrenzungen (68 Jahre mit maximaler Verlängerung bis zum 71. Lebensjahr) unzulässig sind.
Unabhängig von dem Urteil des BVerwG gilt nach wie vor, dass der Sachverständige seine Tätigkeit in seinem angestammten Sachgebiet nicht einstellen muss solange er noch über die von der Rechtsprechung geforderte überragende Sach- und Fachkunde verfügt. Er darf nur nicht mehr unter Hinweis auf die öffentliche Bestellung werben oder anderweit den Eindruck erwecken, noch bestellt zu sein, wenn die Bestellung erloschen ist, widerrufen oder dem Antrag auf Verlängerung nicht stattgegeben wurde.
Quelle und Anmerkung
Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts Nr. 9/2012 >>
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