In einem von der Wettbewerbszentrale geführten Grundsatzverfahren zur Werbung für ärztliche Fernbehandlung hat das OLG München heute entschieden und die Berufung eines Versicherungsunternehmens gegen ein Urteil des Landgerichts München zurückgewiesen (OLG München, Urteil vom 9.07.2020, Az. 6 U 5180/19, nicht rechtskräftig). Die Urteilsgründe liegen noch nicht vor. Das Landgericht München hatte das Unternehmen verurteilt, „es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr in der Bundesrepublik Deutschland für ärztliche Fernbehandlungen in Form eines digitalen Arztbesuches zu werben, wobei mittels einer App in Deutschland lebenden Patienten, die bei X. krankenversichert sind, angeboten wird, über ihr Smartphone von Ärzten, die im Ausland sitzen, Diagnosen, Therapieempfehlungen und Krankschreiben zu erlangen, insbesondere wenn das geschieht wie nachfolgend eingelichtet (auf den Abdruck der Werbung wird verzichtet).“ (LG München, Urteil vom 16.07.2019, Az. 33 O 40026/18).
„Bleib einfach im Bett, wenn du zum Arzt gehst.“
So hatte der Versicherer auf seiner Internetseite geworben und seinen Kunden den „digitalen Arztbesuch“ über eine App angekündigt. Beworben wurde dabei nicht nur Diagnose und Therapieempfehlung, sondern auch die Krankschreibung per App. Wörtlich hieß es: „Warum du den digitalen Arztbesuch lieben wirst. Erhalte erstmals in Deutschland Diagnosen, Therapieempfehlung und Krankschreibung per App.“ Bei den sogenannten „eedoctors“, die die beworbene Fernbehandlung durchführen sollten, handelte es sich nach Angaben des Unternehmens um erfahrene Ärzte in der Schweiz.
Derartige, zum Teil hilfreiche Modelle von Arzt-Patienten-Kontakten unterliegen jedoch besonderen rechtlichen Regelungen. Unklar ist, in welchem Umfang Fernbehandlungen und die Werbung dafür erlaubt sind. Hier will die Wettbewerbszentrale durch gerichtliche Klärung für mehr Rechtssicherheit sorgen. § 9 Heilmittelwerbegesetz verbietet grundsätzlich die Werbung für Fernbehandlungen.
Neufassung des Werbeverbotes
Das OLG musste sich mit der Neufassung dieser Vorschrift befassen, denn Ende 2019 wurde sie ergänzt. Hintergrund der Neufassung ist die Lockerung des berufsrechtlichen Fernbehandlungsverbots. Ärzten ist nach der Musterberufsordnung Fernbehandlung im Ausnahmefall unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, und sie können „dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen“. Entsprechend wurde § 9 HWG dahingehend geändert, dass das Verbot der Werbung für Fernbehandlungen dann nicht gilt, „wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.“ Was die dort genannten Standards sind, ist vollkommen ungeklärt. Die Wettbewerbszentrale will mit dem Verfahren klären lassen, ob rein digitale Primärversorgungsmodelle, also solche ohne jeglichen persönlichen Kontakt des Patienten mit dem Arzt, diesen Anforderungen genügen. Wenn dies nicht der Fall ist, wäre auch die Werbung unzulässig.
Weiterführende Informationen
Zur Tätigkeit der Wettbewerbszentrale im Bereich Gesundheitswesen >>
F 4 0497/17
ck
Weitere aktuelle Nachrichten
-
Wettbewerbszentrale setzt Werbekennzeichnung im Influencer-Marketing durch
-
OLG Hamm: Unternehmen haftet für Fehler in Google Shopping-Anzeige
-
BMJ veröffentlicht Diskussionsentwurf zur Umsetzung der EmpCo-Richtlinie – Werbung mit Green Claims wird reguliert
-
Wettbewerbszentrale beanstandet Verlängerung einer zeitlich begrenzten Rabattaktion eines Online-Möbelhändlers als wettbewerbswidrig
-
BGH schafft Klarheit: Verkauf von Dekoartikeln durch Gartencenter an Sonntagen ist zulässig