Home News Grundrechtliche Anforderungen an die prozessuale Waffengleichheit gelten auch für einstweilige Verfügungsverfahren im Bereich des Wettbewerbsrechts

Grundrechtliche Anforderungen an die prozessuale Waffengleichheit gelten auch für einstweilige Verfügungsverfahren im Bereich des Wettbewerbsrechts

Mit einem aktuellen Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bestätigt, das die im presse- und äußerungsrechtlichen Eilverfahren geltenden grundrechtlichen Anforderungen an die prozessuale Waffengleichheit und des rechtlichen Gehörs (Beschlüsse v. 30.09. 2018, Az. 1 BvR 1783/17, 1 BvR 2421/17) auch für einstweilige Verfügungsverfahren im Bereich des Lauterkeitsrechts (UWG) gelten

Mit einem aktuellen Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bestätigt, das die im presse- und äußerungsrechtlichen Eilverfahren geltenden grundrechtlichen Anforderungen an die prozessuale Waffengleichheit und des rechtlichen Gehörs (Beschlüsse v. 30.09. 2018, Az. 1 BvR 1783/17, 1 BvR 2421/17) auch für einstweilige Verfügungsverfahren im Bereich des Lauterkeitsrechts (UWG) gelten (Beschluss v. 27.07.2020, Az. 1 BvR 1379/20).

In diesem konkreten Fall ist die Verfassungsbeschwerde zwar ohne Erfolg geblieben, weil die aufgezeigten Verstöße kein hinreichend gewichtiges Feststellungsinteresse begründeten, aber die Kammer stellt klar, dass eine Einbeziehung der Gegenseite in das gerichtliche Eilverfahren auch dann erforderlich ist, wenn zwar eine außergerichtliche Abmahnung sowie eine Erwiderung auf die Abmahnung erfolgten und diese dem Gericht vorlagen, aber zwischen dem Unterlassungsbegehren aus der vorprozessualen Abmahnung und dem nachfolgend gestellten Verfügungsantrag keine Identität bestand. Ebenso führt ein gerichtlicher Hinweis des Landgerichts an die Antragstellerseite zur Nachbesserung ihres Antrags, ohne die Antragsgegnerseite davon in Kenntnis zu setzen nach Ansicht des BVerfG zu einem Verfahrensverstoß.

Der Fall
Die Beschwerdeführerin bietet Dienstleistungen im Dentalbereich an und versendet an ihre Kunden Produkte, mit denen diese zu Hause einen Abdruck sowie Fotos von ihrem Gebiss machen können, um daraus individuelle Schienen zur Zahnkorrektur zu erstellen. Die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens führte bei der Beschwerdeführerin einen Testkauf eines solchen Abdrucksets durch, mahnte diese unter anderem wegen vorgeblich fehlender Kennzeichnung mit „CE“-Kennzeichen ab und nahm sie auf Unterlassung in Anspruch. Die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens stellte daraufhin Antrag auf Erlass einer Unterlassungsverfügung beim Landgericht München I. Das Landgericht wies die Antragstellerin schriftlich auf Bedenken hinsichtlich der Antragsfassung und Glaubhaftmachung hin. Die Antragstellerin ergänzte daraufhin ihren Antrag und erwirkte den Erlass der angegriffenen einstweiligen Verfügung. Die Beschwerdeführerin, also die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens, wurde vor Erlass der angegriffenen Entscheidung nicht an dem gerichtlichen Verfahren beteiligt. Die Beschwerdeführerin erhob Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung und stellte Vollstreckungsschutzantrag. Den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wies das Landgericht zurück. Die Beschwerdeführerin erhob daraufhin Verfassungsbeschwerde und gleichzeitig einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die gerichtlich erwirkte einstweilige Verfügung, die ohne ihre Beteiligung ergangen ist.

Verfahrensfehler
Das BVerfG bejaht Verfahrensfehler des Landgerichts München I (Entscheidung v. 25.05.2020, Az. 33 O 5945/20). Ein Verstoß gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit sei darin zu sehen, dass das Unterlassungsbegehren aus der Abmahnung und der nachfolgend gestellte Verfügungsantrag nicht identisch gewesen seien. Nur bei wortlautgleicher Identität sei sichergestellt, dass der Antragsgegner auch hinreichend Gelegenheit hatte, sich zu dem vor Gericht geltend gemachten Vorbringen in gebotenem Umfang zu äußern. Die Anhörung der Beschwerdeführerin wäre daher vor Erlass der einstweiligen Verfügung erforderlich gewesen. Zum anderen liege ein Verstoß gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit in der Erteilung eines gerichtlichen Hinweises an die Antragstellerseite, ohne die Beschwerdeführerin davon in Kenntnis zu setzen. Es sei verfassungsrechtlich geboten, den jeweiligen Gegner vor Erlass einer Entscheidung in den gleichen Kenntnisstand zu versetzen wie den Antragsteller. Deshalb seien auch ihm die richterlichen Hinweise zeitnah mitzuteilen. Dies gelte insbesondere dann, wenn es bei Rechtsauskünften in Hinweisform darum gehe, einen Antrag nachzubessern oder eine Einschätzung zu den Erfolgsaussichten abzugeben.

Verfassungsbeschwerde im Ergebnis erfolglos
Die Verfahrensfehler führen nach Auffassung des BVerfG allerdings zu keinem hinreichend gewichtigen Feststellungsinteresse. Die Abweichungen zwischen dem außergerichtlich geltend gemachten Unterlassungsverlangen und dem ursprünglich gestellten Verfügungsantrag sowie der nachgebesserten Antragsfassung stellten sich als nicht gravierend dar. Nach der im Recht des unlauteren Wettbewerbs entwickelten „Kerntheorie“ umfasse der Schutz eines Unterlassungsgebots nicht nur die Verletzungsfälle, die mit der verbotenen Form identisch sind, sondern auch gleichwertige Verletzungen, die den Verletzungskern unberührt lassen. Die Kerntheorie sei verfassungsrechtlich im Grundsatz unbedenklich. Sie diene der effektiven Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen. Sie wäre wesentlich erschwert, sofern der Unterlassungstitel nur in den Fällen als verletzt gälte, in denen die Verletzungshandlung dem Wortlaut des Titels genau entspreche. Es sei dem Antragsgegner grundsätzlich zumutbar, im Erwiderungsschreiben auf eine außergerichtliche Abmahnung auch zu kerngleichen, nicht-identischen Verstößen Stellung zu nehmen. Eine Grenze sei dort zu ziehen, wo der gerichtliche Verfügungsantrag den im Rahmen der außergerichtlichen Abmahnung geltend gemachten Streitgegenstand verlässt oder weitere Streitgegenstände neu einführt. Die Beschwerdeführerin hätte sich vorliegend jedoch aufgrund der außergerichtlich gewählten Formulierung bewusst sein müssen, umfassend auch zu kerngleichen Verstößen zu erwidern.

Zudem fehle es an der Darlegung eines schweren Nachteils, der durch die Schadensersatzpflicht nach § 945 ZPO nicht aufgefangen werden könnte. Dem Schutz des Antragsgegners im einstweiligen Verfügungsverfahren werde durch die Schadensersatzpflicht gemäß § 945 ZPO hinreichend Rechnung getragen. Komme es infolge der Vollziehung zu Schäden beim Antragsgegner, seien diese vom Antragsteller verschuldensunabhängig zu ersetzen. Ein irreparabler Schaden der Beschwerdeführerin sei ist nicht ersichtlich.

Zudem habe sich die Terminierung der Verhandlung über den Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung noch als ausreichend zeitnah dargestellt, um eine zügige Verfahrensführung zu gewährleisten und der Beschwerdeführerin eine umfassende Äußerung in der Sache zu ermöglichen.

Das Gericht hat die Verfassungsbeschwerde daher nicht zur Entscheidung angenommen. Damit werde zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 G. OBVerfG).

Weitere Rechtsprechung
Nach einer Entscheidung des OLG Düsseldorf (Beschluss v. 06.03.2019, Az. 11 W 70/18) ist ein Richter befangen, wenn sein nur gegenüber der Antragstellerin geäußerter richterlicher Hinweis den Sachantrag und den Streitgegenstand unmittelbar konkret inhaltlich verändert, sodass die einstweilige Verfügung erlassen wird und eine zuvor vom Antragsgegner hinterlegte Schutzschrift gemäß § 945a Abs. 1 S. 2 ZPO existiert, in der ausdrücklich um richterlichen Hinweis für den Fall eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und um Entscheidung nicht ohne mündliche Verhandlung gebeten wurde.

Weiterführende Informationen

Beschluss des BverfG v. 27.07.2020, Az. 1 BvR 1379/20 >>

Zu den vom BVerfG zitierten Beschlüssen v. 30.09. 2018, Az. 1 BvR 1783/17, 1 BvR 2421/17 (aus der Datenbank der Wettbewerbszentrale, Login erforderlich):

Auch bei einstweiligem Rechtschutz gegen Pressemitteilungen muss die Waffengleichheit gewahrt bleiben >>

Zur Entscheidung des OLG Düsseldorf (aus der Datenbank der Wettbewerbszentrale, Login erforderlich):
Richterlicher Hinweis, dass ursprünglicher Antrag unschlüssig war, aber mit einem anderen Schuh, der in einer Anlage aufgeführt war, schlüssig gemacht werden kann >>

cb

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