Ein Immobilienanleger, der einen Darlehensvertrag widerruft, muss das Darlehen sofort zurückzahlen, er ist aber, wenn er über sein Widerrufsrecht nicht belehrt wurde, nicht verpflichtet, zusätzlich die marktüblichen Zinsen zu zahlen.
Nach den Rechtssachen Heininger und Schulte betrifft die vorliegende Rechtssache erneut die Auslegung der Haustürgeschäfterichtlinie im spezifischen Zusammenhang mit Immobilieninvestitionen, die in den 90er Jahren in Deutschland von Privatpersonen getätigt wurden. Diese Richtlinie betrifft den Verbraucherschutz im Fall von Verträgen, die z. B. anlässlich eines Besuchs des Gewerbetreibenden oder eines Vermittlers beim Verbraucher in seiner Wohnung geschlossen werden, ohne dass der Verbraucher um diesen Besuch gebeten hätte. In der Rechtssache Heininger hat der Gerichtshof entschieden, dass das nach der Richtlinie vorgesehene Widerrufsrecht für Realkreditverträge gilt. Der Verbraucher, der nicht über sein Widerrufsrecht belehrt worden sei, verliere dieses nicht, und die Folgen eines etwaigen Widerrufs dieses Vertrages für den Immobilienkaufvertrag richteten sich nach dem nationalen Recht. In der Rechtssache Schulte hat Generalanwalt Léger die Auffassung vertreten, dass sich die Käufer, um ihren Immobilienkaufvertrag zu widerrufen, nicht auf die Richtlinie berufen könnten, die ausdrücklich nicht für Immobilienkaufverträge gelte. Die vorliegende Rechtssache betrifft die Voraussetzungen und die Folgen des Widerrufs.
Beim Hanseatischen Oberlandesgericht in Bremen sind drei Rechtsstreitigkeiten anhängig, in denen ein unabhängiger Vermittler unaufgefordert bei Privatpersonen erschienen war, ihnen die mit dem Erwerb eines Appartements in einem Hotelkomplex bei Stuttgart und einem Steuersparmodell erzielbaren Einsparungen dargelegt und sie sodann aufgefordert hatte, einen Realkreditvertrag mit der Crailsheimer Volksbank eG zu unterzeichnen. Dieser Vermittler war über mehrere selbständige Vertriebsfirmen eingeschaltet worden und war der Bank daher vollkommen unbekannt. Da sich der Betrieb des Hotelkomplexes schnell als defizitär herausstellte und mehrere beteiligte Gesellschaften insolvent wurden, waren die Immobilienanleger, die mit den Einkünften aus der Vermietung ihrer Appartements rechneten, nicht mehr in der Lage, das Darlehen an die Crailsheimer Volksbank zurückzuzahlen, worauf sie von dieser verklagt wurden. Die Anleger widerriefen ihren Kreditvertrag und machten dabei geltend, dass der Vertrag in einer Haustürsituation abgeschlossen worden sei. Das Hanseatische Oberlandesgericht war der Ansicht, dass die Entscheidung der Rechtsstreitigkeiten von der Auslegung der Haustürgeschäfterichtlinie abhänge, und hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mehrere Fragen vorgelegt.
Generalanwalt Léger hat heute seine Schlussanträge in dieser Rechtssache vorgetragen. Seiner Ansicht nach setzt das in der Richtlinie vorgesehene Widerrufsrecht in dem Fall, dass ein Vertrag durch Vermittlung eines Dritten geschlossen wurde, nicht voraus, dass der Gewerbetreibende das Verhalten des Dritten kannte oder zumindest kennen musste. Das bei Haustürgeschäften vorhandene Überraschungsmoment und somit der in der Richtlinie beschriebene objektive Tatbestand rechtfertigten es, den Verbraucher durch ein Widerrufsrecht zu schützen. Hinsichtlich der Folgen des Widerrufs erinnert der Generalanwalt daran, dass sie sich nach dem nationalen Recht richteten, das die volle Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung, den Verbraucher zu schützen, zu gewährleisten habe. Insoweit vertritt er die Auffassung, dass dieses Ziel bei einem einheitlichen Finanzgeschäft, das einen Realkreditvertrag und einen Immobilienkaufvertrag umfasse, es nicht verbiete, dass der Verbraucher im Fall des Widerrufs des Kreditvertrags die Darlehensvaluta zurückzuzahlen habe, auch wenn das Darlehen auf seine Anweisung unmittelbar an den Immobilienverkäufer ausgezahlt worden sei. Denn der Verbraucher habe frei entschieden, das Darlehen für den Kauf des Appartements zu verwenden, während die Bank sich darauf beschränkt habe, seine Anweisungen hierzu auszuführen. Die Richtlinie stehe auch einer Verpflichtung zur sofortigen Rückzahlung nicht entgegen, die eine logische Folge des Widerrufs des Darlehensvertrags sei. Andernfalls würde die Richtlinie für wenig skrupulöse Verbraucher schnell zu einem Mittel, um sich missbräuchlich zu bereichern. Schließlich stehe die Richtlinie grundsätzlich einer im Fall des Widerrufs eines Darlehensvertrags bestehenden Verpflichtung zur Zahlung gesetzlicher Zinsen nicht entgegen. Um den Ausgangszustand wiederherzustellen, sei es logisch, dass der Darlehensnehmer auch die Einnahmen zu erstatten habe, die die Darlehensvaluta abgeworfen hätte, wenn sie weiter dem Darlehensgeber zur Verfügung gestanden hätte. Die Richtlinie stehe aber einer solchen Verpflichtung für den Zeitraum entgegen, in dem die Bank den Verbraucher nicht über sein Widerrufsrecht belehrt habe, sofern die Verspätung des Widerrufs ausschließlich auf das Versäumnis der Bank zurückgehe.
HINWEIS: Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richter des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften treten nunmehr in die Beratung ein.
Quelle: Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshof vom 02.06.2005
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