Vergleichende Werbung darf sich nach einem Urteil – C-356/04 des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) auf das ganze Warensortiment beziehen. Damit ist erstmals entschieden, dass sich vergleichende Werbung nicht nur auf einzelne Produkte, sondern auch auf Produkt-Sortimente beziehen darf. Bei einem Preisvergleich reicht es nach Auffassung des EuGH aus, wenn lediglich die Produktgruppe benannt und nicht alle Produkte einzeln aufgelistet werden. Die Verbraucher müssen aber die Möglichkeit eingeräumt bekommen, Einzelheiten des Preisvergleichs zu überprüfen.
Anlass für diese Klarstellung war eine Klage des Discounters Lidl Belgien gegen die belgischen Supermarktkette Colruyt. Diese hatte auf ihren Kassenbons erklärt, wer ein Jahr lang für 100 Euro pro Woche in einer ihrer Filialen eingekauft habe, habe im Vergleich zu anderen Supermärkten mindestens 360, im Vergleich zu Discountern 155 bis 293 Euro gespart. Dabei wurden die Wettbewerber konkret benannt, darunter auch Lidl. Welche Produktpreise konkret verglichen wurden, ließ die Colruyt in der Werbung offen, verwies aber auf die Unternehmens-Website, wo sich weitere Erläuterungen zu dem Preisvergleich befanden. Das belgische Gericht legte die Klage dem EuGH vor. Ob die vergleichende Werbung von Colruyt zulässig war, muss nun das belgische Gericht an Hand der vom EuGH aufgestellten Kriterien prüfen.
Die EuGH-Entscheidung im Detail:
Die Firmen Lidl und Colruyt betreiben in Belgien jeweils eine Supermarktkette, deren Tätigkeit im Wesentlichen im Einzelhandel mit Waren des täglichen Bedarfs besteht. Lidl erhob Klage bei der Rechtbank van Koophandel Brüssel, um die Beendigung verschiedener Werbepraktiken von Colruyt zu erwirken. Dieses Gericht hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mehrere Fragen nach der Auslegung der europäischen Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung zur Vorabentscheidung vorgelegt. Zwei Formen vergleichender Werbung stehen im Ausgangsverfahren in Rede.
Im ersten Fall vergleicht Colruyt das allgemeine Niveau der von ihr und ihren Mitbewerbern hinsichtlich ihrer Sortimente vergleichbarer Waren angewandten Preise und leitet daraus ab, wie viel ein Verbraucher einsparen kann. Dieses allgemeine Preisniveau wird monatlich und dann jährlich auf der Grundlage einer täglichen Aufstellung der einzelnen Preise einer sehr breiten Auswahl teils identischer (Markenprodukte), teils ähnlicher (Produkte ohne Marke oder solche, die mit einer Hausmarke des Händlers versehen sind) Waren des täglichen Bedarfs ermittelt.
Die zweite Form der Werbung geht von der Behauptung aus, dass alle Waren von Colruyt, die mit einem roten Etikett mit der Aufschrift „BASIC“ versehen sind, von dieser Firma zu dem niedrigsten Preis vertrieben werden, der in Belgien angeboten wird. Dieses Warensortiment umfasst zum einen Markenprodukte und zum anderen Produkte, die ohne Marke oder unter der Hausmarke von Colruyt verkauft werden.
Der Gerichtshof erinnert zunächst daran, dass, da vergleichende Werbung dazu beiträgt, die Vorteile der verschiedenen vergleichbaren Erzeugnisse objektiv herauszustellen und so den Wettbewerb zwischen den Anbietern von Waren und Dienstleistungen im Interesse der Verbraucher zu fördern, nach ständiger Rechtsprechung die an die vergleichende Werbung gestellten Anforderungen in dem für diese Werbung günstigsten Sinn ausgelegt werden müssen. Nach Auffassung des Gerichtshofes verwehrt es die Richtlinie grundsätzlich nicht, dass sich eine vergleichende Werbung auf von zwei konkurrierenden Supermarktketten verkaufte Sortimente von Waren des täglichen Bedarfs in ihrer Gesamtheit bezieht, soweit diese Sortimente beiderseits aus einzelnen Produkten bestehen, die paarweise betrachtet jeweils dem Erfordernis der Vergleichbarkeit genügen. Zwar impliziert die Richtlinie in einem solchen Fall nicht, dass die verglichenen Produkte und Preise, also die des Werbenden und die aller seiner in den Vergleich einbezogenen Mitbewerber, Gegenstand einer ausdrücklichen und umfassenden Nennung in der Werbeaussage sein müssen; sie verlangt jedoch, dass der Werbende angibt, wo und wie die Adressaten dieser Aussage die Bestandteile des Vergleichs leicht in Erfahrung bringen können, um die Richtigkeit der Aussage nachzuprüfen oder nachprüfen zu lassen.
Der Gerichtshof befindet außerdem, dass eine vergleichende Werbung, die das niedrigere allgemeine Preisniveau des Werbenden gegenüber dem von dessen Hauptmitbewerbern hervorhebt, obwohl sich der Vergleich auf eine Musterauswahl von Produkten bezogen hat, irreführend sein kann, wenn die Werbeaussage nicht deutlich macht, dass sich der Vergleich nur auf eine solche Auswahl und nicht auf alle Produkte des Werbenden bezogen hat, nicht die Bestandteile des vorgenommenen Vergleichs erkennbar macht oder dem Adressaten keine Informationsquelle nennt, über die eine solche Erkennbarkeit hergestellt werden kann, oder . einen umfassenden Hinweis auf eine Ersparnisspanne enthält, die der Verbraucher, der seine Einkäufe beim Werbenden und nicht bei dessen Mitbewerbern tätigt, erzielen kann, ohne dass das allgemeine Niveau der Preise, die diese Mitbewerber jeweils anwenden, und die Höhe der Ersparnis, die durch das Einkaufen beim Werbenden und nicht bei dessen Mitbewerbern erzielt werden kann, individualisiert werden. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Werbeaussagen derartige Merkmale aufweisen.
Rechtssache C-356/04
Lidl Belgium GmbH & Co. KG / Etablissementen Franz Colruyt NV
Quelle: Pressemitteilung des EuGH vom 19. September 2006
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