In dem Grundsatzverfahren der Wettbewerbszentrale zur Frage der Reichweite der Haftung von Marktplatzbetreibern für Wettbewerbsverstöße von Drittanbietern hat jüngst das OLG Frankfurt am Main geurteilt (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 21.12.2023, Az. 6 U 154/22 – nicht rechtskräftig). Es hat die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt und die Berufung gegen das Urteil des LG Frankfurt am Main (LG Frankfurt am Main, Urteil vom 02.09.2022, Az. 3-12 O 42/21) zurückgewiesen. Danach trifft Marktplatzbetreiber im Ergebnis eine Prüf- und Beseitigungspflicht auch bei Verstößen gegen formale Marktverhaltensregeln wie hier den EU-Bezeichnungsschutz für Milchprodukte, wenn ihnen zuvor – im Wege des Notice & Take Down-Verfahrens – entsprechende andere konkrete Verstöße bekannt gemacht wurden. Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.
Wettbewerbern ist das Problem hinlänglich bekannt: Betreiber von Online-Plattformen, auf denen Händler ihre Produkte verkaufen können, haften grundsätzlich nicht für Rechtsverstöße dieser Händler. Sie haben aber nach dem bekannten Notice & Take Down-Verfahren bei Hinweisen auf Rechtsverstöße entsprechende Angebote zu entfernen. Das nehmen die Plattformen nach Erfahrung der Wettbewerbszentrale auch durchaus ernst.
Ein wettbewerbsverzerrendes Ärgernis ist aber, dass oftmals gleiche oder ähnlich gelagerte Rechtsverletzungen nach kurzer Zeit erneut auf den Verkaufsplattformen auftauchen. Hier können sich die Plattformen nicht auf eine nur eingeschränkte Haftung zurückziehen: Nachdem sie auf konkrete Verstöße hingewiesen worden sind, haben sie nicht nur entsprechende rechtverletzende Produkte/Angebote zu entfernen, sondern sie müssen nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich dafür Sorge tragen, dass sich derartige Verstöße nicht wiederholen (Notice & Stay Down).
Wie weit diese Pflicht reicht, ist bisher gerichtlich noch nicht abschließend geklärt. Amazon ist der Auffassung, dass diese Verpflichtung „nur in Ausnahmefällen bei ganz besonders schutzwürdigen Interessen (Jugendschutz/Produktsicherheit)“ besteht und nicht gleichartige Verstöße umfasst, die zum Zeitpunkt des Hinweises bereits vorlagen.
Vor diesem Hintergrund hatte die Wettbewerbszentrale einen Fall vor das Landgericht Frankfurt am Main gebracht: Nachdem die Wettbewerbszentrale die Amazon Services Europe S.à.r.l. (nachfolgend: Amazon) auf Rechtsverstöße gegen den absoluten EU-Bezeichnungsschutz für Milchprodukte im üblichen Notice & Take Down-Verfahren hingewiesen hatte, waren die gemeldeten Angebote zunächst von Amazon entfernt worden. Anschließend wurden aber weiterhin vegane Milchersatzprodukte mit denselben unzulässigen Bezeichnungen („Sojamilch“, „Hafermilch“ und „Reismilch“) auf dem Marketplace angeboten. Diese weiteren Verstöße lagen auch zum Zeitpunkt des ersten Hinweises bereits vor. Die Wettbewerbszentrale sprach daraufhin eine Abmahnung direkt gegen Amazon aus. Nachdem Amazon sich weigerte, eine Unterlassungserklärung abzugeben, erhob die Wettbewerbszentrale Klage.
Das Landgericht hat Amazon antragsgemäß untersagt, Dritten zu ermöglichen, auf seiner Verkaufsplattform die Begriffe „Sojamilch“, „Hafermilch“ und „Reismilch“ für vegane Milchersatzprodukte zu verwenden.
Auch das Oberlandesgericht folgt in diesem Punkt der Auffassung der Wettbewerbszentrale. Es führt in seiner Entscheidung aus, dass Amazon seiner wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht nicht genügt habe. Das Oberlandesgericht bestätigt die Rechtsansicht, dass die Prüf- und Erfolgsabwendungspflicht des Marktplatzbetreibers nicht nur bei jugendgefährdenden, volksverhetzenden oder gewaltverherrlichenden Inhalten besteht, sondern auch bei Verstößen gegen formale Marktverhaltensregeln, wie hier dem EU-Bezeichnungsschutz für Milchprodukte. Die vorgerichtlichen Hinweise der Wettbewerbszentrale hätten für Amazon eine Prüfungs- und Beseitigungspflicht ausgelöst, die über die bereits getroffenen Maßnahmen hinausgehe. Insoweit sei Amazon zuzumuten, Wörter wie „Sojamilch“, „Hafermilch“ und „Reismilch“ aus Angeboten Dritter herauszufiltern.
„Die Wettbewerbszentrale sieht sich in ihrer Auffassung bestätigt, dass Plattformbetreiber, die auf wettbewerbsrechtlich unzulässige Angebote von Drittanbietern hingewiesen worden sind, auch weitere Angebote auf gleichartige Verstöße prüfen und diese ggf. beseitigen müssen. Diese Pflicht kann zum Schutz des Wettbewerbs nicht auf Fälle besonders gravierender Rechtsgutverletzungen beschränkt werden. Eine ansonsten eintretende Hase-Igel-Konstellation wäre einem lauteren Wettbewerb abträglich.“, meint Alexander Strobel, zuständiger Referent bei der Wettbewerbszentrale.
Gegen das Urteil des Oberlandesgerichts kann Amazon nun noch das Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof einlegen.
Wettbewerbszentrale
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