Das generelle Verbot von Fernsehwerbung für alkoholische Getränke ist mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. Es ist durch den angestrebten Schutz der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt. Diese Auffassung vertritt der erste Generalanwalt A. Tizzano in den Verfahren der Kommission gegen Frankreich und Bacardi France SAS gegen Télévision Française TF1. Entsprechende Schlussanträge hat der Generalanwalt in den beiden Verfahren gestern gestellt
Im Einzelnen:
Das französische Gesetz zur Bekämpfung von Nikotinsucht und Alkoholismus (sog. Loi Evin) verbietet in Frankreich direkte oder indirekte Fernsehwerbung für alkoholische Getränke. Ein Verstoß gegen diese Vorschriften stellt ein Vergehen dar, das mit einer Geldstrafe in Höhe von ungefähr 75 000 Euro geahndet wird; dieser Betrag kann um bis zu 50 Prozent des für die verbotene Werbung ausgegebenen Betrages erhöht werden. Ein vom Conseil supérieur de l’audiovisuel (Aufsichtsgremium für den audiovisuellen Bereich, CSA) erstellter Verhaltenskodex legt die Modalitäten der Durchführung dieses Gesetzes fest. Er berücksichtigt nicht, ob es sich um französische oder um ausländische Getränke handelt, unterscheidet aber zwischen internationalen Sportveranstaltungen, die in einer größeren Anzahl von Ländern übertragen werden und folglich nicht als hauptsächlich für das französische Publikum bestimmt angesehen werden, und anderen Veranstaltungen, deren Übertragung speziell für das französische Publikum bestimmt ist. Nach dem Verhaltenskodex müssen die französischen Sender bei den zuletzt genannten Veranstaltungen, sofern sie im Ausland stattfinden, die verfügbaren Mittel einsetzen, um zu vermeiden, dass in der Sendung Werbung für alkoholische Getränke erscheint.
Vor dem Gerichtshof sind derzeit zwei Rechtssachen anhängig, die diese französische Regelung betreffen.
In dem Vertragsverletzungsverfahren (C-262/02) beantragt die Kommission, festzustellen, dass die französische Regelung wegen der Beschränkungen, die mit der Loi Evin für die Übertragung ausländischer Sportveranstaltungen in Frankreich eingeführt wurden, nicht mit dem freien Dienstleistungsverkehr vereinbar ist.
In dem Vorabentscheidungsverfahren (C-429/02) hatte der Fernsehsender Télévision Française TF1 die von ihm mit der Vermittlung von Rechten für die Fernsehübertragung von Fußballspielen beauftragten Firmen Groupe Jean-Claude Darmon und Girosport aufgefordert, dafür zu sorgen, dass Marken alkoholischer Getränke nicht auf dem Bildschirm erscheinen. Infolgedessen lehnten es einige ausländische Fußballklubs ab, an Bacardi France, die zahlreiche alkoholische Getränke herstellt und vertreibt, Werbeflächen am Spielfeldrand zu vermieten. Die französische Cour de Cassation möchte wissen, ob die französische Regelung den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, und zwar den Vertragsbestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr und der Gemeinschaftsrichtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“, zuwiderläuft.
Der Erste Generalanwalt führt zunächst aus, dass die im Fernsehen gezeigten Bilder dieser am Spielfeldrand angebrachten Werbeflächen zwangsläufig während der gesamten Dauer der Veranstaltung erschienen, ohne dass, wie von der Richtlinie verlangt, eine klare Trennung von den Bildern des Spielgeschehens möglich sei. Die Richtlinie sei daher nicht auf diesen Fall anwendbar.
Die vom CSA erlassenen Maßnahmen, wonach diejenigen, die Fernsehübertragungsrechte vermittelten, verpflichtet seien, alle verfügbaren Mittel einzusetzen, um zu vermeiden, dass im französischen Fernsehen Werbung für alkoholische Getränke gezeigt werde, stellten tatsächlich eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar.
Zur Rechtfertigung dieser Beschränkung
Der Erste Generalanwalt teilt die Auffassung der Verfahrensbeteiligten, dass die Loi Evin dem Schutz der öffentlichen Gesundheit diene, der nach dem EG-Vertrag Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen könne.
Zur Verhältnismäßigkeit der französischen Regelung
Maßnahmen, die die Grundfreiheiten einschränken, sind nur zulässig, wenn sie hinsichtlich des verfolgten Zieles verhältnismäßig sind.
Der Erste Generalanwalt prüft zunächst, ob die französische Regelung das Ziel, die öffentliche Gesundheit zu schützen, erreicht. Die Entscheidung der französischen Regierung, die Werbung für alkoholische Getränke in den Stadien nicht ganz zu verbieten, werfe zwar Fragen auf, falle aber unter die Freiheit der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, auf welchem Niveau und wie sie den Schutz der öffentlichen Gesundheit sicherstellen wollten. Es könne vernünftigerweise davon ausgegangen werden, dass die französischen Maßnahmen, die die Werbung für alkoholische Getränke beschränkten, auch die Fälle verringern könnten, in denen die Fernsehzuschauer solche Getränke aufgrund der Werbung konsumierten. Zudem ermögliche es die Unterscheidung zwischen internationalen Veranstaltungen und anderen Veranstaltungen, den angestrebten Schutz der öffentlichen Gesundheit und den Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs besser miteinander in Einklang zu bringen, da sich hierdurch die Anzahl der Fälle verringere, in denen die Übertragung im Ausland stattfindender Sportveranstaltungen in Frankreich verboten sei. Der Erste Generalanwalt weist darauf hin, dass die französischen Rechtsvorschriften und die französische Praxis das fragliche Verbot nicht auf alkoholische Erzeugnisse beschränkten, die auf dem französischen Markt vertrieben würden, sondern zu gleicher Aufmerksamkeit gegenüber ausländischen alkoholischen Getränken verpflichteten.
Der Erste Generalanwalt untersucht sodann, ob die französische Regelung nicht über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die öffentliche Gesundheit zu schützen. Er vertritt insoweit die Ansicht, dass die Fernsehsender nicht über die Mittel verfügten, Werbeflächen für alkoholische Getränke unkenntlich zu machen, und dass die moderne Technik für die Ausblendung von Fernsehbildern wegen ihrer hohen Kosten nicht genutzt werden könne. Ferner weist er darauf hin, dass der übermäßige Konsum alkoholischer Getränke ungeachtet des jeweiligen Alkoholgehalts die Gesundheit gefährde. Die Kürze der Zeit, für die diese Form der Werbung erscheine, lasse weder eine Inhaltskontrolle noch die Möglichkeit zu, eine Warnung vor den mit Alkohol verbundenen Gefahren einzublenden.
Schließlich erinnert der Erste Generalanwalt daran, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der bloße Umstand, dass ein anderer Mitgliedstaat weniger strenge Vorschriften im Bereich der Werbung für alkoholische Getränke anwende, nicht bedeute, dass die französischen Normen unverhältnismäßig seien.
Der Erste Generalanwalt schlägt dem Gerichtshof daher vor, zu entscheiden, dass die Richtlinie und der im EG-Vertrag verankerte Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs dem Verbot in der französischen Regelung über Fernsehwerbung für alkoholische Getränke nicht entgegenstehen.
Hinweis: Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Der Gerichtshof tritt nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet werden.
Rechtssache C-262/02 Kommission / Frankreich
und
Rechtssache C-429/02 Bacardi France / Télevision Française TF1 u.a.
Quelle: Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 11.03.2004
Weiterführende Links zu diesem Thema
Schlussanträge in den Rechtssachen C 262/02 und C-429/02
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