Der BGH legt dem EuGH mit gestern veröffentlichtem Beschluss die Fragen vor, ob nach europäischem Recht Pharmaunternehmen Arzneimittel zur Erprobung an Apotheker abgeben dürfen und – falls ja – ob die europäischen Regelungen eine weitergehende deutsche Vorschrift erlauben, die eine solche Abgabe verbietet (BGH, Beschluss vom 31.10.2018, Az. I ZR 235/16 – Apothekenmuster). Geklagt hatte ein Pharmaunternehmen gegen seinen Mitbewerber, weil dieser durch seine Außendienstmitarbeiter Packungen eines apothekenpflichtigen Arzneimittels an Apotheken abgab. Die Packungen waren mit der Aufschrift „zu Demonstrationszwecken“ versehen.
Die nationale Regelung: Muster an Apotheker erlaubt?
Nach § 47 Abs. 3 Arzneimittelgesetz (AMG) >> dürfen pharmazeutische Unternehmer Arzneimittelmuster an Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte abgeben; Apotheker sind nicht genannt. Ob die Abgabe von Arzneimittelmustern an Apotheker damit verboten ist, ist höchst umstritten:
Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass sich aus den konkret in § 47 Abs. 3 AMG aufgeführten Personengruppen ergebe, dass im Umkehrschluss die dort nicht genannten Personengruppen wie etwa Apotheker nicht beliefert werden dürften. Es bestehe auch kein Bedürfnis, Apotheker zu informieren, weil ihnen ja die eigene Verkaufsware zur Verfügung stehe. Apotheker würden zwar generell nach § 47 Abs. 1 AMG von pharmazeutischen Unternehmen und Großhändlern beliefert, aber Absatz 3 gehe als spezielle Regelung für die Abgabe von Mustern vor.
Nach anderer Ansicht verbietet die Vorschrift die Abgabe von Mustern an Apotheken gerade nicht. Apotheker seien in Abs. 3 nicht genannt, weil sie per se nach § 47 Abs. 1 AMG mit Arzneimitteln – und damit auch mit Mustern – beliefert werden dürften. Eine unterschiedliche Behandlung von Ärzten und Apothekern bei der Abgabe von Mustern verstoße außerdem gegen den Gleichheitssatz.
Die europäische Regelung: ausnahmsweise Abgabe von Gratismustern
Da durch die Richtlinie 2001/83/EG (Humanarzneimittelrichtlinie >> – im Folgenden Richtlinie genannt) eine vollständige Harmonisierung des Bereichs der Arzneimittelwerbung erfolgte, ist – so der BGH – die Bestimmung des § 47 Abs. 3 AMG im Lichte der Richtlinie auszulegen. Gemäß Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie dürfen Gratismuster nur ausnahmsweise an die zur Verschreibung berechtigten Personen abgegeben werden. Der BGH erläutert in seinem Beschluss die auch hier unterschiedlichen, von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Interpretationsmöglichkeiten: Zum Teil wird die Auffassung vertreten, der Wortlaut lasse eine Ausdehnung auf Apotheker nicht zu. Zum Teil wird aber auch argumentiert, Art. 96 regle nur die Abgabe von Mustern an Ärzte, schließe aber die Abgabe an Apotheker nicht aus. Auch bei Apothekern bestehe ein Interesse daran, sich mit neuen Arzneimitteln vertraut zu machen. Der BGH möchte daher vom EuGH wissen, in welchem Sinne die Vorschrift auszulegen ist.
Strengere Vorschriften in Deutschland?
Nach Art. 96 Abs. 2 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten die Abgabe von Mustern weiter als in Art. 96 Abs. 1 vorgesehen einschränken. Der BGH stellt dem EuGH daher die weitere Frage, ob die nationale Regelung in § 47 Abs. 3 AMG
unionsrechtskonform ist, wenn sie – insofern möglicherweise strenger als die europäische Regelung – in dem Sinne ausgelegt wird, dass an Apotheken keine Arzneimittelmuster abgegeben werden dürfen. Gegen eine solche Auslegung spricht laut BGH der Wortlaut des Art. 96 Abs. 2, der sich auf „bestimmte Arzneimittel“ bezieht, was eine Differenzierung nach Art des Arzneimittels, nicht aber eine Differenzierung nach Art des Empfängerkreises wie im Ausgangsfall nahelegt.
Das Verfahren vor dem BGH wird bis zur Beantwortung der Fragen durch den EuGH ausgesetzt.
Weiterführende Informationen
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ck
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