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Bundesgerichtshof: Tageszeitungen dürfen gratis verteilt werden

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der unentgeltliche Vertrieb einer allein anzeigenfinanzierten Tageszeitung in der Regel nicht wettbewerbswidrig ist und den herkömmlichen teilweise durch Verkauf finanzierten Tageszeitungen kein entsprechender Abwehranspruch zusteht.

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der unentgeltliche Vertrieb einer allein anzeigenfinanzierten Tageszeitung in der Regel nicht wettbewerbswidrig ist und den herkömmlichen teilweise durch Verkauf finanzierten Tageszeitungen kein entsprechender Abwehranspruch zusteht.

Die Beklagte ist die deutsche Tochtergesellschaft eines norwegischen Medienunternehmens, das u.a. anzeigenfinanzierte Tageszeitungen verlegt. Sie ließ erstmals im Dezember 1999 in Köln eine solche für die Leser unentgeltliche Tageszeitung mit dem Titel „20 Minuten Köln“ verteilen. Diese Zeitung mit einer Startauflage von 150.000 Exemplaren verfügte über einen redaktionellen Teil, der etwa zwei Drittel ihres Inhalts ausmachte und lokale Nachrichten sowie Berichte insbesondere aus Politik, Kultur und Sport enthielt. Sie wurde in allen Kölner Straßenbahn- und U-Bahn-Stationen in Zeitungsboxen ausgelegt sowie von Mitarbeitern der Beklagten an belebten Stellen im Kölner Stadtgebiet verteilt. Dieser unentgeltliche Vertrieb wurde bis ins Jahr 2001 aufrechterhalten.

Die Klägerin gibt die beiden Kölner Tageszeitungen „Kölner Stadt-Anzeiger“ und „Kölnische Rundschau“, ferner die Boulevardzeitung „Express“ heraus. Sie sieht die Existenz ihrer auch durch Verkauf finanzierten Tageszeitungen langfristig durch gratis verteilte Zeitungen bedroht, die – wie das Blatt der Beklagten – in ihrem redaktionellen Teil mit herkömmlichen Tageszeitungen vergleichbar sind. Sie hat deswegen die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch genommen und sich auf eine ältere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs berufen, wonach in dem kostenlosen Verteilen von Zeitungen ein Wettbewerbsverstoß liegen kann, wenn dadurch traditionelle Zeitungen in ihrem Bestand gefährdet werden. Außerdem hat die Klägerin ebenso wie der Springer-Verlag in Köln eine eigene Gratiszeitung herausgebracht.

In den Vorinstanzen hatte die Klage keinen Erfolg. Während des Revisionsverfahrens hat die Beklagte ihre Kölner Tageszeitung „20 Minuten Köln“ eingestellt. Daraufhin wurden auch die beiden Abwehrblätter vom Markt genommen. Die Beklagte behält sich aber vor, in Zukunft erneut eine anzeigenfinanzierte Zeitung auf den deutschen Markt zu bringen.

Der Bundesgerichtshof hat die Abweisung der Klage bestätigt. Zwar sei es grundsätzlich wettbewerbswidrig, wenn ein Wettbewerber eine üblicherweise entgeltlich angebotene Leistung in großem Umfang verschenke und dadurch den Bestand des Wettbewerbs konkret gefährde. Andererseits habe im Geschäftsleben niemand Anspruch auf einen unveränderten Erhalt seines Kundenkreises. Nachteile und Gefährdungen der eigenen Position aufgrund neuartiger wettbewerbskonformer Maßnahmen müsse jeder Mitbewerber grundsätzlich hinnehmen, auch wenn sie sich für ihn nachteilig auswirkten. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei der Vertrieb einer Zeitung, die sich allein aus Anzeigen und nicht auch aus Verkaufserlösen finanziere, nicht von vornherein unzulässig. Auf den verfassungsrechtlichen Schutz der Pressefreiheit könne sich nicht nur die Klägerin als Herausgeberin herkömmlicher Tageszeitungen, sondern auch die Beklagte mit ihrer allein anzeigenfinanzierten Zeitung berufen. Die Gefahr, dass die inserierende Wirtschaft Einfluss auf die Inhalte der Zeitung nehme, sei zwar nicht von der Hand zu weisen, bestehe aber auch bei der mischfinanzierten Presse. Daher schlage das verfassungsrechtliche Gebot, bei der Wertung redaktioneller Berichterstattung Neutralität zu wahren, auch bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung durch.

In seiner Entscheidung weist der BGH darauf hin, dass in Deutschland die lokalen und regionalen Tageszeitungen in ihren Kernverbreitungsgebieten auf dem Lesermarkt häufig keinem oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt sind. Mit einer Abonnementzeitung seien die hohen Marktzutrittsschranken nur schwer zu überwinden, so dass es für denjenigen, der einen solchen Markt neu betreten wolle, kaum eine Alternative zur anzeigenfinanzierten Zeitung gebe. Das Wettbewerbsrecht dürfe eine solche Konkurrenz nicht im Keim ersticken.

In einem Parallelverfahren hat der Bundesgerichtshof in dem Verfahren des Axel Springer Verlages gegen den Verlag der Freiburger Zeitung zum Sonntag eine Entscheidung gefällt. Da diese Zeitung ihr Erscheinen wegen Insolvenz eingestellt hat, hatte der Springer-Verlag den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Deshalb ging es nur noch darum, ob die Klage, mit der sich der Springer-Verlag gegen den unentgeltlichen Vertrieb dieser ausschließlich anzeigenfinanzierten Sonntagszeitung gewandt hatte, bis zu diesem Zeitpunkt begründet war. Dies hat der Bundesgerichtshof – ebenfalls in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen – verneint.

Urteile vom 20. November 2003 – I ZR 151/01 (20 Minuten Köln) und I ZR 120/00 (Zeitung zum Sonntag)

Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 21.11.2003

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