Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hatte auf den heutigen Tag die Verkündung einer Entscheidung in dem Verfahren KZR 12/02 – Stadtwerke Schwäbisch-Hall gegen Gasversorgung Süddeutschland – terminiert. In diesem Rechtsstreit ging es um die kartellrechtliche Wirksamkeit einer auch sonst häufig verwendeten vertraglichen Bestimmung, nach der ein kommunales Energieversorgungsunternehmen seinen Erdgasbedarf über viele Jahre hinweg von einem Ferngasunternehmen beziehen muss.
Die Gasversorgung Süddeutschland (GVS), die von Dritten bezogenes Erdgas über ein eigenes Leitungsnetz vor allem in Baden-Württemberg absetzt, hatte mit den Stadtwerken Schwäbisch-Hall im Jahre 1996 einen Liefervertrag für Erdgas geschlossen, mit dem die Vertragsparteien eine seit 1982 bestehende Geschäftsbeziehung fortgesetzt hatten. Nach diesem Vertrag, der eine Laufzeit von zwanzig Jahren haben sollte, waren die Stadtwerke Schwäbisch-Hall verpflichtet, eine Gasmenge abzunehmen, die jeweils nicht unter der im Vorjahr abgenommenen Menge liegen durfte. Solange diese Menge nicht abgenommen war, durften die Stadtwerke kein Erdgas von Dritten beziehen. Auch zusätzlichen Bedarf mussten die Stadtwerke bei der GVS decken, soweit GVS zu einer Lieferung zu marktgerechten Bedingungen bereit und imstande war. Ferner enthielt der Vertrag eine Demarkationsabrede, nach der GVS sich verpflichtete, im Versorgungsgebiet der Stadtwerke kein Gas zu vertreiben.
Dieser Vertrag war vor der Liberalisierung der Energiemärkte abgeschlossen worden. Für Energielieferverträge gab es im deutschen Kartellrecht eine so genannte Bereichsausnahme, nach der diese Verträge von den zentralen kartellrechtlichen Bestimmungen freigestellt waren. Nach dem Wegfall dieser Privilegierung im Jahre 1998 stellten sich die Stadtwerke auf den Standpunkt, der Vertrag sei kartellrechtswidrig und nichtig, und erhoben eine entsprechende Feststellungsklage. Nachdem das Landgericht Stuttgart der Klage stattgegeben hatte, beschränkten die Stadtwerke ihre Klage auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Demarkationsabrede und der Bezugsverpflichtung. Für die Demarkationsabrede akzeptierte GVS eine solche Feststellung, nicht dagegen für die Bezugsverpflichtung. Das Oberlandesgericht Stuttgart wies die Klage ab: Zwar verstoße die fragliche Bezugsverpflichtung sowohl gegen deutsches als auch gegen europäisches Kartellrecht. Da der Vertrag aber eine Klausel enthalte, wonach die Parteien eine nichtige Klausel möglichst durch eine gleichwertige unbedenkliche Vertragsbestimmung ersetzen müssten, könne die Unwirksamkeit der Klausel nicht festgestellt werden, weil sie möglicherweise durch eine andere Klausel ersetzt werden müsse.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Kartellsenat am 8. April 2003 wurde mit den Parteivertretern und den Vertretern des Bundeskartellamts eingehend erörtert, ob die beanstandete langfristige Bezugsverpflichtung gegen das Kartellverbot des § 1 GWB und Art. 81 des EG-Vertrags verstößt und ob gegebenenfalls die zwanzigjährige Vertragsdauer – um kartellrechtlichen Bedenken zu begegnen – deutlich zurückgeführt werden muss. Die für heute vorgesehene Urteilsverkündung entfällt, nachdem die Stadtwerke Schwäbisch-Hall die Revision im Zuge eines gestern abend geschlossenen Vergleichs zurückgenommen haben.
Beim Kartellsenat ist noch der Rechtsstreit Thyssengas gegen Stadtwerke Aachen (KZR 26/01) anhängig, in dem sich ähnliche Fragen stellen. In diesem Verfahren wurde heute die Revision der Thyssengas angenommen. Die Sache wird voraussichtlich am 4. November 2003 vor dem Kartellsenat verhandelt werden.
Quelle: Pressemitteilung des BGH vom 20.05.2003
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