Der BGH hat mit erst jetzt veröffentlichtem Urteil eine Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (BGH, Urteil vom 17.12.2020, Az. I ZR 235/16 – Apothekenmuster II). In dem Verfahren geht es um die Frage, ob ein pharmazeutisches Unternehmen nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel kostenlos an Apotheken abgeben darf. Die Arzneimittel, die von Außendienstmitarbeitern abgegeben wurden, trugen die Aufschrift „Zu Demonstrationszwecken“.
Zum Verfahrensverlauf
Geklagt hatte in dieser Sache ein Mitbewerber des pharmazeutischen Unternehmens. Er sah in der Abgabe der Arzneimittel einen Verstoß gegen die Bestimmung des § 47 Abs. 3 AMG, nach der die Abgabe von Mustern eines Fertigarzneimittels an Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte sowie andere, dort explizit genannte, Berufsgruppen gestattet ist. Apotheker werden in der Vorschrift nicht genannt. Außerdem lag nach Auffassung des Klägers eine unzulässige Zugabe im Sinne des § 7 Abs. 1 HWG vor.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Unterlassung verurteilt. Das OLG Frankfurt bestätigte diese Entscheidung. Mit der vom OLG zugelassenen Revision verfolgte die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter. Der BGH legte dem EuGH die Frage vor, ob nach europäischem Recht Pharmaunternehmen Arzneimittel zur Erprobung an Apotheker abgeben dürfen und – falls ja – ob die europäischen Regelungen eine weitergehende deutsche Vorschrift erlauben, die eine solche Abgabe verbietet (BGH, Beschluss vom 31.10.2018, Az. I ZR 235/16 – Apothekenmuster I). Der EuGH entschied wie folgt (EuGH, Urteil vom 11.06.2020, Az. C 786/18):
„Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG ist dahin auszulegen, dass er es pharmazeutischen Unternehmen nicht erlaubt, Gratismuster verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker abzugeben. Dagegen steht diese Bestimmung der Abgabe von Gratismustern nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker nicht entgegen.“
Abgabeverbot nur bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln
Der BGH vertritt die Auffassung, dass bei unionsrechtskonformer Auslegung nur Gratismuster von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nicht an Apotheker abgegeben werden dürfen. Denn nach Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG dürfen Gratismuster nur ausnahmsweise unter den in den Buchstaben a bis g der Vorschrift geregelten weiteren Voraussetzungen an die zur Verschreibung berechtigten Personen abgegeben werden. Die Bestimmung stehe daher – so der BGH – der Abgabe nicht verschreibungspflichtiger Fertigarzneimittel nicht entgegen.
Gratismuster als Zugabe?
Grundsätzlich ist die Bestimmung des § 7 Abs. 1 Satz 1 Heilmittelwerbegesetz (HWG), die die Abgabe von Zugaben verbietet, auch auf die Abgabe von Gratismustern von Arzneimitteln an Apotheker anwendbar. Zuwendungen von geringem Wert im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG sind allerdings ausnahmsweise gestattet. Zudem muss die Zuwendung geeignet sein, bei dem zur Verschreibung oder der Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Personen ein wirtschaftliches Interesse an der Verschreibung oder Abgabe von Arzneimitteln zu wecken. Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen konnte der BGH die Fragen nach dem Wert der Zuwendungen und der individuellen Beeinflussbarkeit der Apotheker aufgrund wirtschaftlicher Interessen aber nicht abschließend beantworten. Diese Fragen wird das OLG Frankfurt klären müssen ebenso wie die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 HWG, nach der eine Werbegabe auch beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG nur dann zulässig ist, wenn sie zur Verwendung in der pharmazeutischen Praxis bestimmt ist.
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ck
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