Die Hersteller vor allem hochwertiger und preisintensiver Markenprodukte greifen in ihren Lieferverträgen mitunter zu dem Mittel, Händlern den Vertrieb über das Internet zu beschränken oder ganz zu verbieten. Einem Prestigeverlust der Marke durch ein „Verramschen“ der Ware soll dadurch vorgebeugt werden. Der EuGH hat in einer aktuellen Entscheidung vom 13. Oktober 2011 dem Ausschluss des Internetvertriebs durch Händler in einem selektiven Vertriebssystem einen Riegel vorgeschoben und sich damit dem Votum des Generalanwaltes ( vgl. Aktuelles vom 27.05.2011 >>) angeschlossen.
Ein französischer Hersteller von Kosmetika und Körperpflege-Produkten verschiedener Marken vertreibt die Waren in einem selektiven Vertriebssystem. In den Vertriebsverträgen mit den Händlern hat er festgelegt, dass der Verkauf in Räumlichkeiten und in Anwesenheit eines diplomierten Pharmazeuten erfolgen müsse. Damit war es den Händlern zwar nicht rechtlich verboten, Verkäufe über das Internet zu tätigen. Faktisch waren damit jedoch sämtliche Verkaufsformen über das Internet ausgeschlossen.
Der EuGH sieht in dem faktischen Ausschluss des Internethandels eine bezweckte Beschränkung des Wettbewerbs im Sinne des Art. 101 AEUV, die objektiv nicht gerechtfertigt sei. Die Notwendigkeit einer individuellen Beratung des Kunden und seines Schutzes vor einer falschen Anwendung der Produkte rechtfertige ein solches Verhalten nicht. Auch das Ziel, den Prestigecharakter zu schützen, könne kein legitimes Ziel zur Beschränkung des Wettbewerbs sein. Eine Freistellung vom Kartellverbot nach Art. 2 der Verordnung Nr. 2790/1999 über die Gruppenfreistellung von Vertikalvereinbarungen (heute Verordnung Nr. 330/2010) komme nicht in Betracht. Der Ausschluss des Internetvertriebs bedeute zumindest eine Beschränkung des passiven Verkaufs, die nach Art. 4 lit. c) Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung nicht freistellungsfähig sei.
Abschließend hält es der EuGH für möglich, dass aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles der Ausschluss des Internethandels nach Art. 101 Abs. 3 AEUV gerechtfertigt sein kann. Voraussetzung dafür ist, dass die Beschränkung des Wettbewerbs durch den Ausschluss des Internethandels eine Verbesserung der Warenerzeugung oder Warenverteilung unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn mit sich bringt. Die Freistellung nach dieser Vorschrift ist jeweils eine Einzelfallentscheidung. Im konkreten Verfahren ging der EuGH auf diesen Aspekt nicht näher ein.
EuGH, Urteil vom 13.10.2011 – Rs. C-439/09
Weiterführende Hinweise
EuGH, Urteil vom 13.10.2011 – Rs. C-439/09 >>
wn
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