Der Bundesgerichtshofs hat am 30.03.2004 entschieden, dass es kartellrechtlichen Bedenken begegnet, wenn die Deutsche Telekom ihre beherrschende Stellung auf dem Markt für Festnetzanschlüsse dazu nutzt, mit Hilfe einer gekoppelten Abgabe von ISDN-Anschluss und Internetzugang ihre schon bisher starke Stellung auf dem benachbarten Markt für den Internetzugang nachhaltig zu stärken.
Die Deutsche Telekom AG warb im Jahre 2000 zusammen mit ihrer Tochtergesellschaft T-Online International AG für ein gekoppeltes Angebot eines ISDN-Anschlusses der Deutschen Telekom mit einem Internetzugang von T-Online. Dieses Angebot bestand aus dem T-ISDN-Anschluss zu den üblichen aus Grundpreis und Gesprächsgebühren zusammengesetzten Tarifen sowie aus einem T-Online-Anschluss zu einem “call-by-call”-Tarif, der keine (zusätzliche) Grundgebühr, sondern lediglich nutzungsabhängige Gebühren vorsah. Ein solcher Tarif ist vor allem für Kunden interessant, die den Internet-Anschluss nur gelegentlich nutzen. Für dieses Angebot warb Deutsche Telekom mit Aussagen wie “T-ISDN jetzt inklusive T-Online-Anschluss ohne zusätzliche Grundgebühr”, “T-ISDN jetzt T-Online-Anschluss inklusive”, “Neu bei T-ISDN: Grundgebühr für T-Online entfällt!”. Auf einer Pressekonferenz beschrieb der damalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom dieses Angebot in der Weise, dass “bei einem neuen T-ISDN-Anschluss … der T-Online-Anschluss jetzt automatisch und kostenlos mitgeliefert” werde. Dies wurde seinerzeit in der Weise gehandhabt, dass jeder Besteller eines ISDN-Anschlusses von T-Online als Kunde begrüßt und registriert wurde und eine “Auftragsbestätigung” sowie die Zugangssoftware für den T-Online-Anschluss mit individueller Kennung erhielt.
Gegen diese Praxis wandte sich AOL Deutschland, eine Tochter des AOL-Konzerns, die in Deutschland den Online-Dienst AOL betreibt. Sie beklagte, dass ein Großteil der neuen T-ISDN-Kunden – nach ihrer Darstellung 80% – über T-Online ins Internet gehe und für andere Internet-Service-Provider verloren sei. Die Deutsche Telekom verlagere auf diese Weise ihre überragende Machtstellung auf dem Markt für Festnetzanschlüsse auf den benachbarten Markt für den Internetzugang.
Mit einer Beschwerde beim Bundeskartellamt hatte AOL Deutschland keinen Erfolg. Das Amt sah in dem Verhalten der Deutschen Telekom keine missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung, weil mit der beanstandeten Kopplung keine Verpflichtung verbunden war, den Internetzugang über T-Online zu wählen. Jedem Kunden, der von dem Angebot der Deutschen Telekom Gebrauch mache, stehe es – so das Bundeskartellamt – frei, Kunde bei einem anderen Internet-Service-Provider zu werden.
Mit ähnlicher Begründung wies das Landgericht Hamburg die auf Unterlassung und Schadensersatz gerichtete Klage von AOL Deutschland ab. Auch die Berufung hatte keinen Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil nun aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Hamburg zurückverwiesen.
Im Revisionsverfahren war von dem Vortrag der Klägerin und damit von einer erheblichen Sogwirkung des Kopplungsangebots auszugehen. Auf dieser Grundlage hat der Bundesgerichtshof anders als die Vorinstanzen den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nach § 19 GWB bejaht. Zwar stehe es jedem Kaufmann grundsätzlich frei, seine Waren oder Leistungen nur gekoppelt mit anderen Waren oder Leistungen abzugeben. Das Kartellrecht schränke diese Freiheit jedoch ein, wenn die Kopplung zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs führe. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen seine Machtstellung mit Hilfe der Kopplung auf andere Märkte ausdehne. Wenn diese Gefahr bestehe, sei eine Kopplung von nicht zusammengehörenden Waren oder Leistungen kartellrechtlich verboten.
Für eine Kopplung von ISDN-Anschluss und Internetzugang bestehe keine sachliche Notwendigkeit; die funktionale Nähe von Telefon-Anschluss und Internetzugang reiche hierfür nicht aus. Wettbewerbsschädliche Wirkungen könnten von einem solchen Angebot auch dann ausgehen, wenn den Kunden ein Wechsel zu einem anderen Anbieter jederzeit möglich sei. Denn es liege nahe, dass ein erheblicher Teil der T-ISDN-Kunden, die sich zunächst für T-Online entschieden, diesem Anbieter treu bleibe und aus Trägheit oder aufgrund der Annahme, die Installation eines anderen Internetzugangs werde technische Schwierigkeiten bereiten, von anderen Angeboten keinen Gebrauch mache.
Der Bundesgerichtshof hat die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen, das nunmehr vor allem klären muss, ob der Klagevortrag über die erhebliche Sogwirkung zutrifft.
Urteil vom 30. März 2004 – KZR 1/03
Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 30.03.2004
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