Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil vom 6. Dezember 2001 – I ZR 284/00 – erneut die Veröffentlichung der „H.I.V.POSITIVE“-Werbung der Fa. Benetton durch die Herausgeberin der Illustrierten „Stern“ als wettbewerbswidrig untersagt.
Auf Antrag der Wettbewerbszentrale waren drei verschiedene Benetton-Werbeanzeigen, die große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erzeugt hatten, bereits in der ersten Hälfte der 90er Jahre vom Landgericht verboten worden. Die Sprungrevision der beklagten Herausgeberin vor dem Bundesgerichtshof im Jahre 1995 blieb erfolglos. Gegen die damaligen Urteile des Bundesgerichtshofs (vom 6. Juli 1995) hatte die Beklagte Verfassungsbeschwerden eingelegt, denen vom Bundesverfassungsgericht stattgegeben wurde (Urteil vom 12. Dezember 2000 – 1 BvR 1762/95 und 1787/95 -). Zur Begründung hatte das Bundesverfassungsgericht darauf verwiesen, die Urteile des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1995 verstießen gegen die Meinungsfreiheit des werbenden Unternehmens und damit gegen die Pressefreiheit der Zeitschriftenherausgeberin (Art. 5 GG). Alle drei Streitfälle wurden zur erneuten Prüfung an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
Die Wettbewerbszentrale hat auf eine erneute Überprüfung der Werbeanzeigen „ölverschmierte Ente“ und „Kinderarbeit in der dritten Welt“ durch den BGH verzichtet, da das Bundesverfassungsgericht in seinen hierzu ergangenen Urteilsgründen dem BGH keinen Spielraum für eine anderweitige Entscheidung gelassen hatte. Dies war im Falle von „H.I.V. Positive“ anders, nachdem das Bundesverfassungsgericht dem Bundesgerichtshof aufgetragen hatte, die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten der Anzeige in einer erneuten Prüfung fachgerichtlich festzustellen und zu bewerten. Für die Wettbewerbszentrale war es in diesem Fall wichtig klären zu lassen, ob Vorteile im Wettbewerb daraus gezogen werden dürfen, daß das Leid und die Not anderer zu kommerziellen Zwecken in der Werbung ausgenutzt wird.
Diese Frage hat der BGH nunmehr eindeutig verneint. In einer Pressemitteilung zu seiner neuen Entscheidung konzediert er, daß das Werbemotiv eines als aids-infiziert „abgestempelten“ Menschen durchaus als Ausdruck der Solidarität mit Aids-Kranken empfunden werden könne. Die Werbeanzeige werde aber nicht allein in diesem Sinne verstanden. Weit überwiegend werde die Anzeige – auch wenn sie zugleich als Aufruf zur Solidarität verstanden werde – als Aufmerksamkeitswerbung für das werbende Unternehmen wahrgenommen. Sie wirke daher maßgeblich auch als ein Mittel zum wirtschaftlichen Zweck, das die Gruppe der Aids-Kranken, wirtschaftlichen Vorteil ausbeute. Die Betroffenen selbst würden mit ihrem Schicksal zu einem Objekt, mit dem Wirtschaftswerbung zur Gewinnerzielung getrieben werden könne. Ein Aufruf zur Solidarität mit Menschen in Not sei zynisch und verletze ihren Anspruch auf Achtung und mitmenschliche Solidarität um ihrer selbst willen, wenn er mit dem Geschäftsinteresse verbunden werde, die eigenen Unternehmensumsätze in einem ganz anderen Bereich zu steigern.
„Wir waren von Anfang an der Auffassung, dass in der Wirtschaftswerbung nicht jedes Mittel recht sein sollte, insbesondere wenn hierzu das schwere Leid und die Not anderer als Reizthema in Werbeanzeigen zu Zwecken der Gewinnsteigerung ausgebeutet wird. Wir begrüßen daher die Entscheidung des Bundesgerichtshofs“, erklärte Dr. Reiner Münker, Hauptgeschäftsführer der Wettbewerbszentrale. Unter diesen Voraussetzungen wiege die verfassungsrechtlich geschützte Menschenwürde der betroffenen Minderheiten schwerer als die Meinungsfreiheit von Wirtschaftsunternehmen, so Münker weiter.
Die Wettbewerbszentrale unterstützt die Auffassung des BGH, dass der Leistungswettbewerb wesentlich beeinträchtigt würde, wenn Werbungtreibende vermehrt durch derartige Anzeigen ihren Vorteil auf Kosten derjenigen Wettbewerber suchen würden, die das im Wettbewerb unabdingbare Maß an Achtung vor anderen und ihren verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern bewahren.
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