Am 23.10.2024 findet vor dem Bundesgerichtshof die mündliche Verhandlung in dem von der Wettbewerbszentrale geführten Grundsatzverfahren zur Plattformhaftung statt (BGH, Az. I ZR 13/24): Dabei geht es um die Frage der Reichweite der Haftung von Marktplatzbetreibern für Wettbewerbsverstöße von Drittanbietern.
In der Vorinstanz hatte das OLG Frankfurt am Main befunden, dass den Marktplatzbetreiber Amazon Services Europe S.á.r.L. im Ergebnis eine Prüf- und Beseitigungspflicht auch bei Verstößen gegen formale Marktverhaltensregeln wie hier den EU-Bezeichnungsschutz für Milchprodukte trifft, wenn ihm zuvor – im Wege des Notice & Take Down-Verfahrens – entsprechende andere konkrete Verstöße bekannt gemacht wurden (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 21.12.2023, Az. 6 U 154/22 – nicht rechtskräftig). Der Senat hatte die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.
Notice & Take Down-Verfahren
Wettbewerbern ist das Problem hinlänglich bekannt: Betreiber von Online-Plattformen, auf denen Händler ihre Produkte verkaufen können, haften grundsätzlich nicht für Rechtsverstöße dieser Händler. Sie haben aber nach dem bekannten Notice & Take Down-Verfahren bei Hinweisen auf Rechtsverstöße entsprechende Angebote zu entfernen. Das nehmen die Plattformen nach Erfahrung der Wettbewerbszentrale auch durchaus ernst.
Ein wettbewerbsverzerrendes Ärgernis ist aber, dass oftmals gleiche oder ähnlich gelagerte Rechtsverletzungen nach kurzer Zeit erneut auf den Verkaufsplattformen auftauchen. Hier können sich die Plattformen nicht auf eine nur eingeschränkte Haftung zurückziehen: Nachdem sie auf konkrete Verstöße hingewiesen worden sind, haben sie nicht nur entsprechende rechtverletzende Produkte/Angebote zu entfernen, sondern sie müssen nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich dafür Sorge tragen, dass sich derartige Verstöße nicht wiederholen (Notice & Stay Down).
Notice & Stay Down – Wie weit reicht diese Pflicht?
Wie weit diese Pflicht reicht, ist bisher gerichtlich noch nicht abschließend geklärt. Amazon ist der Auffassung, dass diese Verpflichtung „nur in Ausnahmefällen bei ganz besonders schutzwürdigen Interessen (Jugendschutz/Produktsicherheit)“ besteht und nicht gleichartige Verstöße umfasst, die zum Zeitpunkt des Hinweises bereits vorlagen.
Vor diesem Hintergrund hatte die Wettbewerbszentrale einen Fall zu Gericht gebracht: Nachdem die Wettbewerbszentrale die Amazon Services Europe S.à.r.l. (nachfolgend: Amazon) auf Rechtsverstöße gegen den absoluten EU-Bezeichnungsschutz für Milchprodukte im üblichen Notice & Take Down-Verfahren hingewiesen hatte, waren die gemeldeten Angebote zunächst von Amazon entfernt worden. Anschließend wurden aber weiterhin vegane Milchersatzprodukte mit denselben unzulässigen Bezeichnungen („Sojamilch“, „Hafermilch“ und „Reismilch“) auf dem Marketplace angeboten. Diese weiteren Verstöße lagen auch zum Zeitpunkt des ersten Hinweises bereits vor. Die Wettbewerbszentrale sprach daraufhin eine Abmahnung direkt gegen Amazon aus. Nachdem Amazon sich weigerte, eine Unterlassungserklärung abzugeben, erhob die Wettbewerbszentrale Klage.
Das Landgericht hat Amazon antragsgemäß untersagt, Dritten zu ermöglichen, auf seiner Verkaufsplattform die Begriffe „Sojamilch“, „Hafermilch“ und „Reismilch“ für vegane Milchersatzprodukte zu verwenden.
Auch das Oberlandesgericht folgte in diesem Punkt der Auffassung der Wettbewerbszentrale. Es führt in seiner Entscheidung aus, dass Amazon seiner wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht nicht genügt habe. Das Oberlandesgericht bestätigt die Rechtsansicht, dass die Prüf- und Erfolgsabwendungspflicht des Marktplatzbetreibers nicht nur bei jugendgefährdenden, volksverhetzenden oder gewaltverherrlichenden Inhalten besteht, sondern auch bei Verstößen gegen formale Marktverhaltensregeln, wie hier dem EU-Bezeichnungsschutz für Milchprodukte. Die vorgerichtlichen Hinweise der Wettbewerbszentrale hätten für Amazon eine Prüfungs- und Beseitigungspflicht ausgelöst, die über die bereits getroffenen Maßnahmen hinausgehe. Insoweit sei Amazon zuzumuten, Wörter wie „Sojamilch“, „Hafermilch“ und „Reismilch“ aus Angeboten Dritter herauszufiltern.
Ob der Plattformbetreiber auch weitere Angebote auf gleichartige Verstöße prüfen und diese ggf. beseitigen muss, ist eine Frage, die dem BGH nun zur Entscheidung vorliegt.
Weiterführende Informationen
F 08 0084/21
ug
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