Ein Onlineshop muss seine Widerrufsbelehrung an die geltende Rechtslage anpassen und auch bei Produkten, die „on demand“ produziert werden, ein Widerrufsrecht einräumen. Das ergibt sich aus einem Urteil des Landgericht Verden (Urteil vom 03.07.2023, Az. 10 O 13/23, nicht rechtskräftig). Die Wettbewerbszentrale hatte auf Unterlassung geklagt.
Sachverhalt
Die Beklagten sind die ehemaligen sowie die aktuellen Betreiber eines Onlineshops für Reitsportzubehör. Im Onlineshop boten sie verschiedene Standardartikel an, darunter etwa eine Trittleiter zum leichteren Aufstieg. Sowohl bei der Trittleiter als auch bei anderen Artikeln konnte die Kundschaft zwischen verschiedenen Standardgrößen wählen.
Vor dem Kauf sollte die Kundschaft unter anderem bestätigen, dass die Artikel erst auf Bestellung gefertigt werden. Daraus folgte aus Sicht der Beklagten, dass kein Widerrufsrecht bestehe. Offenbar gingen die Beklagten davon aus, dass die Ausnahme vom Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB einschlägig sei. Danach besteht kein Widerrufsrecht, wenn Ware nach Kundenspezifikation hergestellt wird. Doch die Wettbewerbszentrale beanstandete die Widerrufsbelehrung der Beklagten als zu restriktiv und forderte den Shop zur Unterlassung auf. Nach erfolgloser außergerichtlicher Auseinandersetzung klagte die Wettbewerbszentrale erfolgreich vor dem Landgericht Verden.
Keine individuelle Anfertigung
Die Ausnahme des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB setzt eine echte Individualisierung voraus. Die Norm zielt lediglich auf Ware, die wegen Individualisierung nach Widerruf wirtschaftlich wertlos wäre. Individualisiert sind etwa Visitenkarten oder T-Shirts mit aufgedrucktem Familienfoto. Ein Pullover, bei dem die Kundschaft Farbe und Größe wählt, ist nicht individualisiert – es gilt das Widerrufsrecht.
Dementsprechend ebenfalls nicht individualisiert ist aus Sicht der Wettbewerbszentrale Ware wie eine Trittleiter, die in Standardausführungen angeboten wird. Hier findet keine echte Individualisierung im Sinne des BGB statt. Obwohl die Kundschaft bei der Bestellung eine bestimmte Standardausführung auswählt, ist der Artikel nicht besonders auf die Bedürfnisse der Kundschaft zugeschnitten.
Produktion „on demand“
Wann das Unternehmen die Ware produziert, ist nach Meinung der Wettbewerbszentrale unerheblich. Sonst wäre es vom Zufall abhängig, ob ein Widerrufsrecht besteht. Solange es sich um Standardware in noch so vielen Standardvariationen handelt, darf die Kundschaft ihre Käufe widerrufen – auch wenn diese „on demand“ produziert wird. Die Rechtsprechung ist streng. Ein PKW, den der Hersteller mit Sonderausstattung versieht, ist zum Beispiel nicht individualisiert im Sinne von § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB (OLG München, Urteil vom 18.6.2020 – 32 U 7119/19). Auch darf ein Unternehmen seiner Kundschaft eine Individualisierung nicht aufdrängen, um das Widerrufsrecht zu umgehen (LG Cottbus, Urteil vom 29.09.2022 – 2 O 223/21).
Weiterführende Informationen
kok
F 03 0008/22
Weitere aktuelle Nachrichten
-
OLG Frankfurt a. M. untersagt „Anti-Kater“-Werbung für Mineralstofftabletten
-
Rückblick: Konferenz „Wettbewerb, Nachhaltigkeit & Recht“
-
Rückblick: „Jura in der Praxis“ der Julius-Maximilians-Universität Würzburg
-
Rückblick: Internationaler Kongress der Liga in London
-
Landgericht Mainz zur Assoziation von „After Party Shots“ mit einem Alkoholkater